Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
Probleme zu lösen. Unter den gewöhnlichen, rohen Mördern
     gab es nur sehr wenige von ihnen, und sie aufzuspüren war schwierig. Für Regina waren sie Genies des Verbrechens, der lebende
     Gegenbeweis zu Puschkins Formel: »Genie und Verbrechen sind unvereinbar.«
    Diese Menschen weckten bei ihr weder Furcht noch Abscheu. Sie erschienen ihr interessanter als alle anderen. Die schwarzen
     Tiefen ihres Unterbewußtseins analysierte sie ebenso ruhig, wie sie im ersten Semester die Leichenpräpariert hatte. Bei ihnen suchte sie Antwort auf die Fragen, die ihre eigene Seele bedrängten.
    Als die Kollegen auf ihre Experimente aufmerksam wurden, mußte sie ihre Stelle am Institut aufgeben. Es machte ihr nichts
     aus, denn sie wußte, sie würde nicht untergehen.
    Mit dreißig Jahren hatte Regina Valentinowna Gradskaja, Doktorin der Medizin, eine Zwei-Zimmer-Wohnung im Zentrum von Moskau,
     einen soliden Lada und jede Menge teurer Klamotten und Schmuck. Zu ihren Patienten gehörten berühmte Schauspieler, Schriftsteller,
     Popsänger, Parteifunktionäre und deren Frauen und Kinder. Dieses exklusive, launische Publikum ließ sich von ihr gegen Alkoholismus,
     Drogensucht, Impotenz, gegen Depressionen und Psychosen behandeln. Sie garantierte ihren Patienten völlige Anonymität, vor
     allem aber war ihre Behandlung sanft, effektiv und ohne schädliche Nebenwirkungen. Kein kalter Entzug, keine zerstörerischen
     Psychopharmaka. Nur ihre Stimme und ihre Hände.
     
    Wenjamin Wolkow erschien an einem kalten Novemberabend des Jahres 1982 in ihrer Wohnung. Ein Bekannter, der Funktionär beim
     Jugendverband Komsomol war, hatte sie angerufen und gebeten, ihn zu empfangen – »ein netter Kerl, ein Landsmann von Ihnen
     aus Tobolsk«.
    Schüchtern setzte er sich auf den Rand des Sessels und begann leise zu erzählen: von seiner schweren Kindheit, von den Problemen,
     die er im intimen Umgang mit Frauen habe. Es fiel Regina nicht schwer, ihm sein Geheimnis zu entlocken. Unter der Hypnose
     erzählte er in allen Einzelheiten, wie er sieben Mädchen vergewaltigt und ermordet hatte.
    »Ich habe Angst«, sagte er. »Ich fürchte, früher oder später wird man mich erwischen. Ich will nicht morden, aber es ist stärker
     als ich. Ich fühle einen unüberwindlichen, grauenhaften Hunger.«
    Regina hatte in ihrer Praxis schon oft mit sexuellen Problemen, sowohl von Männern wie von Frauen, zu tun gehabt. Im Zustand
     des Hypnoseschlafs gaben ihre Patienten die intimsten Einzelheiten preis. Für Regina gab es keine Geheimnisse und Unklarheiten
     auf diesem schwierigen Gebiet der menschlichen Psyche. Sie lauschte den Erzählungen ihrer Patienten über die ausgefallensten
     sexuellen Neigungen mit kaltem wissenschaftlichem Interesse.
    Sie selbst war mit ihren sechsunddreißig Jahren noch Jungfrau. Sie konnte sich keinen Mann vorstellen, der sich für sie interessierte
     – nicht aus Mitleid, nicht aus Habgier, sondern einfach so. Als sie den Geständnissen dieses Serienmörders lauschte, auf seine
     breiten Schultern und schönen starken Hände blickte, entdeckte Regina plötzlich mit Erstaunen, daß sie auf einen solchen Mann
     ihr ganzes Leben lang gewartet hatte. Diese Entdeckung erschreckte sie nicht im mindesten.
    Ohne ihn aus dem Hypnoseschlaf zu wecken, näherte sie sich ihm und strich ihm mit der Hand über die stachelige Wange, zog
     ihm vorsichtig das Jackett aus und begann langsam das Hemd über seiner muskulösen, unbehaarten Brust aufzuknöpfen.
    »Du wirst nicht mehr töten«, sagte sie, während ihre Lippen seine heiße Haut berührten.
    Zum erstenmal in ihrem Leben spürte Regina ein heftiges, animalisches Verlangen, aber die kalte, berufsmäßige Neugier verließ
     sie auch in dieser Minute nicht.
    Es gab einen Augenblick, da schlossen sich seine Hände beinahe um ihren Hals. Auch darauf war sie vorbereitet. Sie bezwang
     ihn, befahl ihm mit einer mächtigen Willensanstrengung, die Hände von ihrem Hals zu nehmen. Er gehorchte.
    Aus dem Hypnoseschlaf holte sie ihn erst fünfzehn Minuten, nachdem alles vorbei war. Er saß vollkommen nacktauf dem flauschigen Teppich mitten im Zimmer und blickte sich entsetzt um. Sie warf ihm ihren Kittel über.
    »Siehst du, alles ist gutgegangen, ich lebe noch. Es war sehr schön mit dir. Du wirst dich gleich an alles erinnern, behutsam
     und in Ruhe.«
    Er starrte die fremde, häßliche Frau an, die neben ihm saß, in seinem Hemd, das sie über den nackten Körper gestreift hatte.
    »Du hast

Weitere Kostenlose Bücher