Die leichten Schritte des Wahnsinns
denen gesagt, was ist das für eine Schweinerei! Wir zahlen so viel Geld für die Wohnung.«
»Moment, Moment, alles der Reihe nach«, unterbrach der Einsatzleiter sie. »In welchem Stock wohnen Sie?«
»Im ersten. Da vorn, das ist mein Fenster.«
Der Einsatzleiter blickte in die Richtung, in die die Alte zeigte. Tatsächlich, aus ihrem Fenster konnte man sowohl den Spielplatz
als auch die Parkplätze ausgezeichnet überblicken. Der ganze Hof lag wie auf dem Präsentierteller.
»Ab wann haben Sie denn aus dem Fenster gesehen?«
»Oje, das weiß ich nicht mehr.« Die Alte krümmte sich vor Kälte schon zusammen.
»Vielleicht gehen wir besser zu Ihnen in die Wohnung?« schlug der Einsatzleiter vor.
»Ha, da ist er ja, der Nichtsnutz!« schrie die Alte plötzlich und schlug die Hände zusammen. »Kuska! Kuska! Miez-Miez-Miez!
Gleich hab ich dich, du Räuber!« Und wie eine junge Frau galoppierte sie durch die Pfützen hinter einem riesigen graugetigerten
Kater her.
Der maunzte einmal grollend und floh auf einen Baum.
»Komm du mir nur nach Hause, du Frechdachs, du wirst noch um ein Stückchen Fisch betteln!« drohte ihm sein Frauchen mit dem
Finger und spähte von unten zu ihm hinauf. »So ein Parasit!«
In der Einzimmerwohnung roch es durchdringend nach Katze. Das Radio dröhnte in voller Lautstärke. Die Alte schielte auf das
ungemachte Bett, schloß verschämt die Zimmertür und führte den Einsatzleiter in die Küche, wo sie sich hastig zu schaffen
machte und eine Zeitung mit darauf ausgebreitetem Zwieback vom Tisch räumte.
»Gehen wir alles schön der Reihe nach durch«, sagte der Einsatzleiter, als sie endlich zur Ruhe gekommen war und ihm gegenüber
Platz genommen hatte. »Nachname, Vorname, Vatersname.«
»Kolesnikowa, Klawdia Semjonowna, geboren 1925 …«
Trotz ihres Alters hatte Klawdia Semjonowna noch erstaunlich scharfe Augen. Sie beschrieb die junge Frau, die mit einem Kinderwagen
auf den Hof gekommen war, in allen Einzelheiten, berichtete, wie das Kind angezogen war.
Eine halbe Stunde vorher hatte der Einsatzleiter diese Frau und ihr Kind selbst gesehen und wußte daher, daß die Alte kein
einziges Detail durcheinanderbrachte.
»Und dann«, fuhr Klawdia Semjonowna fort, »stellte sie den Kinderwagen neben der Bank ab und ging mit dem Kind auf dem Arm
zur Schaukel. Und am Kinderwagen hingen zwei Tüten. Ich hab noch gedacht: Na, Schätzchen, deine Tüten läßt du so ganz unbeaufsichtigt
hängen? Der Kinderwagen war so ein teurer, aus dem Ausland. Dann sehe ich, wie eine Frau aus dem Auto da aussteigt.«
Sie trat zusammen mit dem Einsatzleiter ans Fenster und zeigte auf den kleinen hellgrünen Moskwitsch.
»Also, diese Frau steigt aus dem Auto. Sie geht schnell zu dem Kinderwagen und dann sofort wieder zurück zum Auto. Setzt sich
rein und wartet, fährt nicht weg.«
»Haben Sie bemerkt, was sie am Kinderwagen gemacht hat?«
»Ich kann nur sagen, was ich gesehen habe.« Die Alte zuckte die Schultern. »Es ging alles sehr schnell. Jetzt glaube ich,
die Frau hat eine Bombe in die Tüte geworfen. Aber in dem Moment ist mir das nicht in den Sinn gekommen. Sie kommt, sie geht
– dafür kann sie hundert verschiedene Gründe haben. Vielleicht wollte sie ein Weilchen auf der Bank sitzen. Aber dann hat
sie gesehen, daß es dort feucht ist, und es sich anders überlegt. Und dann kommtdieses, na … ich weiß nicht, wie es heißt. So ein bulliges schwarzes Auto, mit bunten Schnörkeln auf den Seiten. Das sieht
man hier in der letzten Zeit öfter. Ich weiß nicht, wohnt der Kerl selber hier oder besucht er jemand. Er geht nicht in unser
Haus, sondern in das gegenüber. Die Leute hier in unserem Haus kenne ich alle. Also, dieses schwarze Ungetüm wummst auf den
kleinen grünen von hinten drauf. Dann ging alles ganz schnell, ich hab gar nicht mitgekriegt, was passiert ist, sehe nur,
wie die Frau mit dem Kind zu Boden fällt, so, sehen Sie, auf die Ellbogen. Das Kind lag unter ihr. Sie hat das Kind mit ihrem
Körper geschützt, und im selben Moment hat es furchtbar gekracht. Mein erster Gedanke war – das sind die dummen Jungs mit
ihren Streichen. Wissen Sie, in der letzten Zeit ist hier viel Unfug mit diesen Knallfröschen getrieben worden, ein gräßlicher
Krach, daß die Fensterscheiben klirren. Wie kann die Miliz solche Frechheiten nur erlauben?«
»Wir erlauben sie nicht«, lächelte der Einsatzleiter, »man fragt uns gar nicht erst. Bitte fahren Sie
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