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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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sich ein. »Wenn ihr euch nur über andere Menschen lustig machen könnt! Seht
     ihr denn nicht, der Frau ist übel.«
    Regina sah tatsächlich elend aus. Heute morgen hatte sie sich sorgfältig zurechtgemacht – unter den Augen graue Schatten aufgetragen,
     die Falten um den Mund herum betont, die Lippen schmal und blaß geschminkt. Auf dem Kopf trug sie eine schwarze Strickmütze,
     ein uraltes, verfilztes Ding, das ihr Gesicht so kläglich aussehen ließ, als käme sie von einer Beerdigung. Alles hatte sie
     bis ins letzte Detail bedacht. Nur Bargeld hatte sie nicht bei sich. Nicht eine Kopeke. Das hatte sie einfach vergessen. Sie
     war gewohnt, Kreditkarten zu benutzen, denn sie kaufte nur in den besten und teuersten Geschäften ein. Wenn ihr Wagen hin
     und wieder von der Verkehrspolizei angehalten wurde, drückte sie dem Polizisten einen Fünfzigdollarschein in die Hand. Nun
     machte sie sich bittere Vorwürfe, vor Ärger kamen ihr sogar Tränen. Die beiden Kontrolleure fluchtenlaut und ordinär und versuchten, sie am Arm vom Sitz zu ziehen. Der Trolleybus stand schon zehn Minuten im Stau.
    »Entschuldigen Sie«, sagte sie unter Tränen, »ich komme von einer Beerdigung. Ich habe kein Geld dabei. Ich fühle mich elend.«
    Die Situation wurde gefährlich. Gleich würde man sie vom Sitz zerren, an der nächsten Haltestelle nach draußen schubsen und
     aufs Polizeirevier schleifen. Sie würde nicht einmal Gelegenheit haben, unterwegs unbemerkt die Fernbedienung wegzuwerfen.
     Man würde sie fest an den Armen packen und nicht so ohne weiteres loslassen.
    »Hören Sie auf, so rumzubrüllen«, ertönte plötzlich eine weibliche Stimme. »Lassen Sie die Frau in Ruhe. Ich bezahle das Bußgeld
     für sie.«
    Auf der anderen Seite des Gangs saß eine junge, hübsche Frau mit einem etwa vierjährigen Jungen auf dem Schoß. Sie hielt den
     Kontrolleuren einen Zehntausendrubelschein hin.
    Die Kontrolleure verstummten und sahen sich verdattert um.
    »Was denn, du willst wirklich für sie bezahlen?« fragte der Ältere neugierig.
    »Nehmen Sie das Geld, und stellen Sie eine Quittung aus«, antwortete die Frau ruhig. »Und duzen Sie mich bitte nicht.«
    Der Stau hatte sich mittlerweile aufgelöst. Der Trolleybus näherte sich der Haltestelle.
    »Vielen, vielen Dank«, murmelte Regina verwirrt, »wie kann ich Ihnen das nur vergelten?«
    »Schon gut«, sagte die junge Frau lächelnd, stand auf und nahm ihr Kind auf den Arm. »Jeder kann mal in so eine Lage kommen.«
    Eine seltsame Stadt, dachte Regina, einerseits Rücksichtslosigkeit und Grobheit, wohin man sieht, andererseits solche guten
     Seelen wie diese … Für jemanden, der mit dem Bus fahren muß, sind zehntausend Rubel eine stattlicheSumme. Wieso wirft diese junge Mutter für eine unbekannte Frau so viel Geld aus dem Fenster? Komisch, wirklich.
     
    Der Trolleybus hatte die Haltestelle erreicht, die Türen öffneten sich. Als erste sprangen die Kontrolleure hinaus, eine Quittung
     hatten sie nicht ausgestellt. Dann stieg, das Kind auf dem Arm und vorsichtig nach den Stufen tastend, die junge Mutter aus.
     Regina folgte ihr. Über einen schwarzen, harten Schneewulst sprang sie auf die Fahrbahn und hob die Hand, um ein Auto zu stoppen.
    »Wolokowski-Straße«, warf sie dem Fahrer hin, während sie sich auf den Vordersitz des ersten haltenden Wagens fallen ließ.
    »Wieviel?« fragte der Fahrer.
    »Fünfzigtausend«, sagte Regina aufs Geratewohl.
    »Geht in Ordnung.«
    Die Strecke kostete höchstens fünfundzwanzigtausend, aber Regina kannte die Preise nicht. Es war ihr auch nicht weiter wichtig.
     Ihr Wachmann hatte bestimmt russisches Bargeld und würde für sie bezahlen.
    Die junge Frau mit dem Kind blickte erstaunt hinter dem salatgrünen Opel her, der die arme Intelligenzlerin, die kein Geld
     für eine Busfahrkarte hatte, davonchauffierte.
    ***
    »Ich hab’s gesehen! Ich hab alles gesehen!« schnatterte die dürre, behende Alte, die in Kittel und Pantoffeln aus dem Haus
     gerannt kam. »Ich hab aus dem Fenster geguckt, mein Kater ist nämlich weggelaufen, er braucht jetzt im Frühling ein Kätzchen,
     und da ist er schon seit einigen Tagen verschwunden. Ich mache mir solche Sorgen um ihn und halte immer Ausschau, ob er nicht
     kommt. Rufen kann ich ihn nicht, das Fenster läßt sich nicht öffnen, weil ich schon imHerbst alle Ritzen zugeklebt habe, bei uns zieht es sonst entsetzlich. Und die Heizung wird dauernd abgestellt. Ich war bei
     der Hausverwaltung und hab

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