Die leichten Schritte des Wahnsinns
Journalist eine farbige Prostituierte männlichen Geschlechts ausfindig. Ein Algerier, Student an der Lumumba-Universität,
ungewöhnlich gut aussehend und aus schwuler Sicht sehr sexy. Diese männliche Nutte gibt zu, daß man ihn dafür bezahlt hat,
einen reichen Armenier zu verführen und mit der Pest des zwanzigsten Jahrhunderts anzustecken. Von wem das Geld kam, weiß
er nicht, aber es war sehr viel Geld. Er sagt nur, er habe mit einer Frau verhandelt, die mit ihm Französisch gesprochen habe.
Bald darauf verschwindet der Algerier, wohin, ist unbekannt, und dem Journalisten wird der Schädel durchschossen, als er nachts
mit seinem Hund spazierengeht.«
»Und was wurde aus dem Armenier und den beiden infizierten Jungen?« fragte Lena leise.
»Der Armenier ist kurz darauf im Krankenhaus gestorben. Über die beiden Jungen ist nichts bekannt.«
»Aber warum glaubst du, daß das Wolkows Arbeit ist?« fragte Lena.
»Wessen denn sonst? Verstehst du, jeder, der sich ihm in den Weg gestellt hat, wurde auf die eine oder andere Weise beseitigt.
Das Knabenquartett war ein fetter Brocken, aber Granajan stand im Wege. Mit der Sängerin Olga Iwuschkina war es ähnlich. Du
erinnerst dich vielleicht noch an sie, Anfang der Neunziger war sie ein Superstar?«
»Ich hab von ihr gehört. Hatte sie etwa auch Aids?«
»Nein. Bei ihr war alles viel einfacher und gröber. Wolkow hatte sie in einer Diskothek entdeckt, sie mit seinemgeübten Auge aus der Menge gepickt. So eine Oberstufenmieze, schlank, rothaarig, mit Sommersprossen auf dem Stupsnäschen.
Sie sang Liedchen über Schülerliebe, hatte eine runde Brille und Zöpfe. Wolkow hat sie sehr schnell bekannt gemacht, einige
Videoclips aufgenommen und verdiente schon recht ordentlich an ihr. Da plötzlich, sozusagen auf dem Zenit ihres Ruhms, erklärt
sie, sie wolle nicht mehr singen. Sie liebe jetzt einen Scheich aus den Arabischen Emiraten, und der verbiete ihr, aufzutreten.
Sie wolle ihn heiraten und in Zukunft nur noch Scheichgemahlin sein.
Die angekündigten Tourneetermine müssen abgesagt werden. Wolkows Geld wäre futsch gewesen, aber da findet man auf einmal im
Luxusappartement des Scheichs im Hotel Metropol eine ermordete Prostituierte. Alle Indizien sprechen gegen den wollüstigen
Araber. Weder Geld noch diplomatische Winkelzüge helfen. Der Scheich muß auf die Anklagebank, und von dort kommt er in ein
Sonderlager für Ausländer.
Olga Iwuschkina singt heute noch. Aber sie hat ihr Image vollständig verändert. Jetzt ist sie ein blonder Vamp mit Silikonbusen.«
Der weiße Wolga fuhr die gewundene Rampe zum Flughafengebäude von Scheremetjewo-2 empor.
Kapitel 20
Am späten Abend lag Regina in einem warmen Lavendelbad und summte leise eine Melodie vor sich hin. Bald fiel ihr auch der
Text wieder ein:
»Ist die Seele ohne Kleider, ohne Schuhe,
schläft sich’s gut mit dem Gesicht zur Wand,
wie ein Vögelchen, geborgen in des Staates
großer Hand …«
Regina hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis für Texte und besonders für Gedichte. Sie hatte sich viele Lieder anhören müssen,
wenn sie zusammen mit Wenja beim Vorsingen saß oder hin und wieder bei der Vertonung von Videoclips dabei war. Zufällige Liedfetzen
blieben im Gedächtnis haften, setzten sich auf der Zunge fest und drängten nach draußen.
»Was ist das? Woher kenne ich das? Das ist kein Pop. Melodie und Text sind ganz anders …«
Und plötzlich sah sie ihn wieder vor sich: den großen jungen Mann auf der Bühne des lächerlichen Pioniersaales, in dem Wenja
sich alle möglichen Möchtegern-Talente anzuhören pflegte. Er steht nicht, sondern sitzt am Bühnenrand. Seine Schuhe starren
vor Dreck. Auf den Knien hält er eine Gitarre. Große Hände, kräftige, geschmeidige Finger. Eine sehr angenehme Stimme.
»Sinizyn!« Regina schlug sich auf das nackte Knie, daß es klatschte. »Natürlich, das ist ein Stück aus einem Lied von Sinizyn,
und zwar aus dem, mit dem alles anfing.«
»Warum hast du ihn so abgeschmettert?« fragte sie Wenja, nachdem der große junge Mann gegangen war. »Meiner Meinung nach hat
er etwas.«
»Meiner Meinung nach überhaupt nicht«, erwiderte Wenja aufgebracht. »So was hat man Anfang der achtziger Jahre in Moskauer
Küchen gesungen.«
»Wie du meinst«, sagte Regina achselzuckend.
Am Abend desselben Tages erzählte Wenja unter Hypnose weitere Einzelheiten über das Picknick am Ufer des Tobol.
»Wenja, diesen Burschen
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