Die leichten Schritte des Wahnsinns
Mischa
durch.
Die Redaktion des Männermagazins mit dem vielsagenden Titel »Wilder Honig« nahm eine ganze Etage des dreistöckigen Plattenbaus
am Stadtrand von Moskau ein. Früher war hier einmal ein Kindergarten gewesen. Im Hof standen noch eine Schaukel, Klettergerüste
und Märchenhäuschen.
»Guten Tag, wo finde ich Irina Sergejewna Moskwina?« wandte Mischa sich an ein stark geschminktes, fast kahlgeschorenes Mädchen,
das im Vorzimmer am Computer saß.
»Am Ende des Flurs auf der rechten Seite«, erwiderte das Mädchen, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden.
»Irka, gib acht auf dein Gesicht!« dröhnte aus der halbgeöffneten Tür am Ende des Flurs ein donnernder Baß. »Den Kopf hoch,
hab ich gesagt! Lächeln! Nicht die Zähne fletschen wie der Hofhund beim Anblick einer Katze! Freundlicher, Ira, freundlicher!«
Mischa spähte vorsichtig durch die Tür. In der Mitte eines großen Raums, der von Soffittenlampen grell beleuchtet war, räkelte
sich auf einer gestreiften Matratze eine vollbusige Blondine. Sie hatte nichts weiter am Körper als eine weit geöffnete Militärjacke
mit irgendwelchen Abzeichen und Medaillen und eine Uniformmütze, die kokett auf eine Braue herabgezogen war.
Den Rücken zur Tür gewandt, hüpfte neben dem Stativ mit dem Fotoapparat ein untersetzter, kurzbeiniger Typ in schwarzen Jeans
herum.
»Entschuldigen Sie«, Mischa räusperte sich, »ich kommevon der Kriminalpolizei. Ich muß mit Irina Moskwina sprechen.«
»Zeigen Sie Ihren Ausweis.« Der Fotograf drehte sich um.
Mischa reichte ihm die Bescheinigung.
»Irina Moskwina bin ich«, erklärte die Blondine.
Sie erhob sich träge von der Matratze, warf die Jacke zu Boden, reckte sich ausgiebig, um die verspannten Muskeln zu lockern,
und wandte sich nackt, wie die Mutter sie geboren hatte, an Mischa, der stocksteif in der Tür stand.
»Was kann ich für Sie tun?« fragte sie in ernstem, offiziellem Ton. »Schluß, Schorik, mach das Licht aus. Zigarettenpause.
Du siehst, die Miliz will mich sprechen.«
»Irina Sergejewna, ich muß Ihnen ein paar Fragen stellen«, stotterte Mischa, der nicht wußte, wohin er blicken sollte.
»Tun Sie das«, sagte die Schöne großzügig.
»Wo können wir uns in Ruhe unterhalten?« fragte Mischa und sah an ihr vorbei. »Und wäre es möglich, daß Sie sich etwas anziehen?«
»Ach ja!« Das Model griff sich an den Kopf. »Pardon, die Macht der Gewohnheit.«
Sie verschwand hinter einem Wandschirm in der Ecke des Raums und erschien eine Minute später in einem weißen, bodenlangen
Frotteemantel.
»Gehen wir in den Nebenraum«, lud sie Mischa ein.
Der Nebenraum entpuppte sich als winziges Zimmer, das mit allerlei Kisten von technischen Geräten vollgestellt war. Eingezwängt
in einer Ecke standen ein Zeitschriftentischchen und zwei Sessel.
»Irina Sergejewna«, begann Mischa und nahm Platz, »Sie kannten den Sänger Juri Asarow?«
»Aha, das ist es, darum sind Sie gekommen. Ja, ich kannte Jurka.«
»Seit wann und wie gut?«
»Veronika Rogowez hat uns miteinander bekannt gemacht, vor einem halben Jahr.«
»Veronika ist eine Freundin von Ihnen?«
»Ja.«
Irina fischte aus der Tasche des Bademantels eine Packung mit langen braunen Mentholzigaretten, Mischa zog sein Feuerzeug
heraus und gab ihr Feuer.
»Sagen Sie, gab es in der letzten Zeit zwischen den beiden irgendwelche ernsthaften Differenzen oder Reibereien?«
»Ich mische mich nicht gern in fremde Angelegenheiten«, erklärte Irina schulterzuckend.
Im Unterschied zu ihrer Freundin und Kollegin Veronika Rogowez benahm sich dieses Mädchen völlig natürlich. Es war ihr vollkommen
gleich, welchen Eindruck sie machte.
»Ich verstehe«, nickte Mischa. »Aber Sie haben ja selber gesagt, Veronika sei Ihre Freundin. Sicher hat sie doch mit Ihnen
über ihre Probleme gesprochen.«
»Ja, Nika schwatzt gern. Sie hat mir viel anvertraut.«
»Hat sie irgendwelche Streitigkeiten mit Asarow erwähnt?«
»Ernsthaft haben sie sich nicht gestritten. Wegen Kleinigkeiten sind sie sich manchmal in die Haare geraten. Wissen Sie, Nika
ist wie Sodawasser. Viel Schaum, der sich aber schnell setzt.«
»Hat sie Probleme in ihren Beziehungen zu Männern?«
»Nika?« Irina lachte. »Nicht die Spur. Wie kommen Sie denn darauf?«
»Ich dachte, eine Frau, die ständig die Hilfe einer Psychotherapeutin in Anspruch nimmt, müßte Probleme haben«, murmelte Mischa
nachdenklich.
»Ach, Sie sprechen von der Gradskaja?
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