Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
wollte es heute früh machen, aber Sie hören ja – ich muß zur Redaktionskonferenz.« Lena lächelte schuldbewußt. »Die Sachen
     sind schon alle fertig, gewaschen und gebügelt. Sie brauchen sie nur noch in die Tasche zu legen.«
    An der Tür klingelte es. Michael kam von seinem Lauf zurück. Er strahlte übers ganze Gesicht, seine Glatze schimmerte rosig
     und feucht.
    »Draußen regnet es«, sagte er munter.
    »Wo bist du denn gelaufen?« erkundigte sich Lena.
    »Immer ums Haus herum, fünfzigmal, um mich nicht zu verirren.«
    »Im Kühlschrank stehen für dich Joghurt und Orangensaft. Ich muß für etwa zwei Stunden in die Redaktion. Danach kommt meine
     Freundin Olga, und wir fahren mit dir zur Tretjakow-Galerie. Wartest du solange?«
    »Deine Tochter wird mir Russisch beibringen!« sagte Michael und begab sich unter die Dusche.
    »Vera Fjodorowna, für Michael bitte keine Wurst, kein Fleisch und keine Eier. Er ist Vegetarier«, sagte Lena. »Kaffee trinkt
     er auch nicht. Ich habe für ihn einen speziellen grünen Tee, Kleiebrot, pflanzliche Margarine und Marmelade besorgt. Werden
     Sie das alles finden?«
    »Keine Sorge, das schaffe ich schon.«
    »Ach ja, und Lisas Overall habe ich in der Waschmaschine gewaschen. Er hängt im Schlafzimmer über der Heizung und muß noch
     trocknen.«
    Bis zur Redaktion war es nicht weit, aber die Verkehrsverbindung dorthin war sehr schlecht – zuerst die Metro mit Umsteigen,
     dann vier Stationen mit dem Trolleybus. Lena beschloß, ein Auto zu stoppen, und hob die Hand.Einen Augenblick später hielt ein schwarzer Mercedes.
    Die Besitzer ausländischer Wagen verdienen sich selten ein Zubrot mit der Beförderung von Fahrgästen. Der Mercedes war kein
     Sechshunderter und schon alt, außer dem Fahrer saß niemand im Auto, aber Lena war einen Moment nicht ganz geheuer zumute.
    Es wäre nicht nötig gewesen zu trampen, dachte sie und schaute auf die Uhr. Bis zum Beginn der Konferenz waren es noch zwanzig
     Minuten.
    Der Fahrer trug eine englische Wollkappe, die er tief in die Stirn gezogen hatte, und eine dunkle Brille. Er beugte sich herüber
     und öffnete die Beifahrertür.
    »Nowodmitrowskaja, hinter dem Sawelow-Bahnhof. Dreißigtausend«, sagte Lena.
    »In Ordnung«, sagte der Fahrer.
    Lena kletterte auf den Rücksitz. Eine Zeitlang fuhren sie schweigend.
    »Stört es Sie, wenn ich rauche?« fragte der Fahrer.
    »Nein, bitte.«
    »Möchten Sie auch eine?« Ohne sich umzudrehen, reichte er ihr eine geöffnete Schachtel mit irgendwelchen unbekannten, wahrscheinlich
     sehr teuren Zigaretten und ein Feuerzeug, Marke »Ronson«.
    »Danke.« Lena zog eine Zigarette heraus. Sie wollte tatsächlich gerne rauchen, sie war nervös und hatte ihre eigenen Zigaretten
     in der Eile zu Hause vergessen.
    »Sie arbeiten nicht zufällig bei der Zeitschrift ›Smart‹?«
    »Doch. Wie haben Sie das erraten?« wunderte sich Lena.
    »In der vorletzten Nummer war Ihr Foto. Sie sind Jelena Nikolajewna Poljanskaja, Leiterin des Ressorts Literatur und Kunst.
     Sie sind sechsunddreißig Jahre alt, verheiratet und haben eine zweijährige Tochter. Sie heißt Lisa.«
    Lenas Herz begann heftig zu pochen. Außer Name und Ressort hatte unter dem Foto nichts gestanden.
    »Entschuldigen Sie«, fragte sie so ruhig wie möglich, »kennen wir uns vielleicht?«
    »Ja, wir haben uns vor langer Zeit getroffen, nicht in Moskau. Aber Sie haben sich seitdem überhaupt nicht verändert, wirklich
     erstaunlich.«
    »Helfen Sie mir auf die Sprünge und sagen Sie, wann und wo«, bat sie lächelnd.
    »In Tobolsk, im Juni 1982«, erwiderte er leise.
    Wolkow?! schrie Lena lautlos auf. Lieber Himmel, was soll ich tun? Wie soll ich mich verhalten?
    In diesem Augenblick wendete er den Wagen, fuhr in eine stille Seitenstraße, hielt an, nahm Kappe und Brille ab und drehte
     sich abrupt zu Lena um.
    »Guten Tag, Wenja«, sagte sie ruhig. »Ich freue mich, dich zu sehen. Aber leider bin ich jetzt sehr in Eile.« Sie warf einen
     raschen Blick auf ihre Uhr. Es war Punkt elf.
    »Machen Sie sich keine Sorgen, es gibt gar keine Konferenz. Sie sind nicht in die Redaktion bestellt worden.«
    »Was soll das heißen?« Sie zog unauffällig am Türgriff.
    »Versuchen Sie nicht, die Tür zu öffnen, es ist alles blockiert. Ich habe meine Tonregisseurin gebeten, bei Ihnen anzurufen.
     Ihre Stimme klingt ähnlich wie die der Sekretärin Katja. Ich habe ihr gesagt, ich wollte einer guten Bekannten einen Streich
     spielen. Entschuldigen

Weitere Kostenlose Bücher