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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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konnte dich all diese Jahre
     nicht vergessen, aber was mit einundzwanzig schwer ist, ist mit sechsunddreißig noch schwerer. Gib mir Zeit, mich an dich
     zu gewöhnen. Du willst doch nicht, daß es hier geschieht, im Auto, in einer schmutzigen Gasse? Wir sind doch beide keine Teenager
     mehr, wir haben Familie.«
    Sie sprach und streichelte ihn leise über den Kopf, lullte ihn ein und tröstete ihn wie ein Kind. Sie zwang sich, an ihre
     eigenen Worte zu glauben, denn sie fürchtete, er könnte auch den kleinsten falschen Ton spüren.
    »Ich verstehe jetzt, daß ich mich damals, vor vierzehn Jahren, geirrt habe. Aber wir haben noch genug Zeit, um den Fehler
     zu berichtigen.«
    »Ja«, flüsterte er, »wie du es willst, so wird es sein.«
    »Siehst du«, sie küßte ihn sanft auf die Stirn, »ich habe keine Angst mehr vor dir. Ich vertraue dir und fühle mich gut und
     ruhig bei dir. Wir rauchen jetzt noch eine Zigarette und fahren dann los.«
    »Wohin?« Seine Stimme klang nicht mehr heiser, seine Hände hatten aufgehört zu zittern.
    »Ich muß noch leichte Schuhe für meine kleine Tochter kaufen. Hast du übrigens Kinder?«
    »Nein.« Er zog eine Packung Zigaretten heraus, und sierauchten. »Meine Frau mag keine Kinder. Sie wollte nie welche.«
    »Und du?«
    »Ich weiß nicht. Ich habe darüber nicht nachgedacht. In welchem Geschäft willst du die Schuhe für deine Lisa denn kaufen?
     Erzähl mir von ihr. Wem sieht sie ähnlich, dir oder deinem Mann?«
    »Uns beiden«, wich Lena aus. »Hier in der Nähe ist die ›Welt des Kindes‹. Gleich da vorn.«
    »Und dann?«
    »Dann, Wenja, muß ich nach Hause. Meine Nachbarin paßt auf Lisa auf, spätestens um halb zwei muß ich zurück sein.«
     
    Lena hatte gehofft, er würde im Auto bleiben und nicht mit ihr ins Geschäft gehen. Aber er begleitete sie und wich nicht eine
     Minute von ihrer Seite. Sie musterte ein Paar Schuhe nach dem anderen, so konzentriert, als gäbe es auf der Welt nichts Wichtigeres
     als Kinderschuhe.
    Als sie zur Kasse ging, zog er seine Brieftasche, aber es stellte sich heraus, daß er nur Dollar und Kreditkarten hatte. Glücklicherweise
     konnte man in diesem Geschäft nicht mit Kreditkarten zahlen.
    »Verdient dein Mann so wenig?« fragte er, während er ihr den leichten Karton abnahm.
    »Warum?«
    »Weil du die Sachen für dein Kind in so einem Laden kaufst«, antwortete er ruhig.
    »Das ist ein ganz normales Geschäft.« Sie zuckte die Schultern. »In den anderen Läden, wo man Kreditkarten nimmt, wird das
     gleiche verkauft, aber fünfmal so teuer.«
    Auf dem Weg zum Auto hielt er ihre Hand. Diesmal mußte sie sich auf den Vordersitz setzen, neben ihn.
    »Warum hast du einen Milizionär geheiratet?« fragte er während der Fahrt.
    »Ist ein Milizionär schlechter als andere?«
    »Nein, das sicher nicht«, stimmte er zu. »Liebst du deinen Mann? Bist du glücklich mit ihm?«
    »Wir sind eine normale Familie … Und du, liebst du deine Frau?«
    »Was glaubst du?« Er grinste spöttisch.
    »Was ist sie? Von Beruf, meine ich.«
    »Ärztin. Psychiaterin.«
    »Wie heißt sie?«
    »Regina.«
    »Sicher ist sie eine sehr starke und selbstbewußte Frau?«
    »Laß uns jetzt nicht von ihr reden«, bat er, »laß uns von dir reden. Ich möchte wissen, wie du diese vierzehn Jahre verbracht
     hast, was du erlebt hast. Ich möchte alles über dich wissen.«
    »Gut, Wenja, ich werde es dir erzählen. Aber nicht sofort. Vierzehn Jahre sind eine lange Zeit, das ist fast ein ganzes Leben.«
    Sie waren vor Lenas Haus angekommen.
    »Ich rufe dich an.«
    Er zog eine Visitenkarte aus der Tasche und unterstrich zwei von fünf Telefonnummern.
    »Das ist die Handynummer und das die im Büro. Kann ich dich auch anrufen? Was soll ich sagen, wenn dein Mann abnimmt?«
    »Natürlich kannst du das«, sagte sie. »Wenn mein Mann am Apparat ist, sagst du ihm einfach guten Tag und bittest ihn, mich
     zu holen.«
    Sie rannte ins Haus und stürzte die Treppe hinauf, lief mehrere Absätze hoch und blieb dann auf einem Absatz zwischen den
     Etagen stehen, preßte die Stirn an die kalten Wandfliesen. So stand sie, bis sie das Geräusch des davonfahrenden Autos hörte.
     Und erst dann stieg sie mit einem tiefen Seufzer die Stufen bis zu ihrer Wohnung hoch.

Kapitel 23
    »Ich bin von der Kriminalpolizei.« Mischa Sitschkin reichte dem Wachmann seinen Ausweis.
    Der studierte das Papier gründlich und schweigend. Schließlich trat er, ohne ein Wort zu sagen, zur Seite und ließ

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