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Die Leiden eines Chinesen in China

Die Leiden eines Chinesen in China

Titel: Die Leiden eines Chinesen in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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unmittelbar an den Wohnraum ihres kostbaren Clienten grenzenden Zimmer.
    Soun verschwand eiligst, um in der ihm angewiesenen Ecke auszuschlafen, und ward nicht wieder sichtbar.
    Eine Stunde später verließen Kin-Fo und seine Getreuen ihre Zimmer, frühstückten mit gutem Appetit und fragten sich, was nun zu beginnen sei.
    »Zunächst wollen wir, schlugen Craig-Fry vor, die Regierungs-Zeitung lesen, um zu sehen, ob sich darin ein, unsere Angelegenheit betreffender Artikel findet.
    – Sie haben Recht, stimmte Kin-Fo zu. Vielleicht erfahren wir dabei, was aus Wang geworden ist.«
    Alle Drei verließen das Hôtel. Aus Vorsicht gingen die beiden Akolythen zur Seite ihres Clienten, faßten alle Vorüberkommenden scharf in’s Auge und ließen Niemand nahe heran. So wanderten sie durch die engen Straßen der Stadt und gelangten nach den Quais. Hier ward eine Nummer des officiellen Journals gekauft und aufmerksam durchgelesen.
    Vergeblich! Sie enthielt nichts als das Versprechen einer Belohnung von 2000 Dollars oder 1300 Taëls für Denjenigen, der William J. Bidulph den derzeitigen Aufenthaltsort des Herrn Wang aus Shang-Haï mittheilen würde.
    »Er ist also noch nicht wieder zum Vorschein gekommen, sagte Kin-Fo.
    – Er hat folglich die ihn betreffende Anzeige nicht gelesen, bemerkte Craig.
    – Und hält sich folglich noch an seine Verpflichtungen gebunden, setzte Fry hinzu.
    – Doch, wo in aller Welt mag er sein? rief Kin-Fo.
    – Halten Sie sich, fragten Craig-Fry wie aus einem Munde, für mehr bedroht während der letzten Tage Ihrer Vereinbarung?
    – Ohne Zweifel, versicherte Kin-Fo. Kennt Wang nicht die eingetretene Veränderung meiner Lage, und das ist höchst wahrscheinlich, so wird er sich der Nothwendigkeit, sein Versprechen einzulösen, nicht entziehen können. Nach einem, nach zwei und drei weiteren Tagen bin ich also mehr bedroht als heute, und nach sechs Tagen noch mehr.
    – Doch, wenn die Frist verstrichen?…
    – O, dann ist nichts mehr zu fürchten.
    – Nun, mein Herr, sagten Craig-Fry wie aus einem Munde, es giebt drei Mittel, Sie während dieser sechs Tage jeder Gefahr zu entziehen.
    – Und das erste wäre?… fragte Kin-Fo.
    – In das Hôtel zurückzukehren, antwortete Craig, und sich daselbst bis zum Ablauf der Vertragsfrist einzuschließen.
    – Das zweite?
    – Sich als Verbrecher verhaften zu lassen, erklärte Fry, um im Gefängnisse von Tong-Tcheu in Sicherheit zu sein.
    – Und das dritte?
    – Sie für todt auszugeben, riefen Craig-Fry gleichzeitig, und nicht eher wieder erwachen zu lassen, als bis Sie außer aller Gefahr sind.
    – Da kennen Sie Wang schlecht! warf Kin-Fo ein. Wang würde Mittel und Wege zu finden wissen, in mein Hôtel, in mein Gefängniß und in mein Grab einzudringen. Wenn er bisher noch keinen Mordanfall auf mich versuchte, so hat er es eben noch nicht gewollt, oder er zieht es aus bestimmten Gründen vor, mir bis zum letzten Augenblicke das Vergnügen oder die Unruhe der Erwartung zu bereiten. Wer vermag seine Beweggründe zu durchschauen? Jedenfalls sehe ich den nächsten Tagen lieber auf freiem Fuße entgegen.
    – Nun gut!… Indeß… sagte Craig.
    – Es scheint mir doch… setzte Fry fort.
    – Ich werde thun, was mir beliebt, erklärte Kin-Fo sehr trockenen Tones. Und wenn ich vor dem Fünfundzwanzigsten dieses Monats sterbe, was verliert Ihre Gesellschaft dabei?
    – Zweimalhunderttausend Dollars, antworteten Fry-Craig, zweimalhunderttausend Dollars an Ihre Rechtsnachfolger.
    – Und ich mein gesammtes Vermögen und das Leben obendrein! Ich bin bei der Sache folglich noch mehr interessirt als Sie!
    – Ganz richtig!
    – Sehr wahr!
    – Wachen Sie also auch ferner so über mich, wie Sie es für angezeigt halten, ich werde nach meinem Gefallen handeln!«
    Hiergegen war nichts einzuwenden.
    Craig-Fry mußten sich damit begnügen, stets in der unmittelbaren Nähe ihres Clienten zu bleiben und ihre Vorsichtsmaßregeln zu verdoppeln. Sie verheimlichten sich aber nicht, daß der Ernst der Lage sich mit jedem Tage verschlimmerte.
    Tong-Tcheu ist eine der ältesten Städte des Himmlischen Reiches. Bei seiner Lage an einem kanallsirien Arme des Peï-Ho und einem zweiten Kanale, der eine Verbindung mit Peking herstellt, herrscht daselbst ein reges geschäftliches Treiben. Besonders die Vorstädte zeigen eine überraschende Lebhaftigkeit.
    Kin-Fo und seine Begleiter waren wirklich erstaunt, als sie nach den Quais kamen, wo die Sampanen und Handelsdschonken vertäut

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