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Die Leiden eines Chinesen in China

Die Leiden eines Chinesen in China

Titel: Die Leiden eines Chinesen in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Geheimnissen der Inschriftenkunde nachspüren wollte, von denen ein Museum mit dem Namen der »Tabletten-Wald« eine überaus reiche Auswahl enthielt, was sollte Wang sonst in dieser Stadt beginnen?
    Kin-Fo verließ sie also auch schon am Morgen seiner Ankunft wieder und zog von diesem wichtigen Knotenpunkte für den Handel zwischen Central-Asien, Tibet, der Mongolei und China nach Norden weiter.
    Ueber Kao-Lin-Sien und Sing-Tong-Sien, d.h. in dem Thale des Uei-Ro mit seinen, von dem Löß (Mergel), durch den er sich sein Bett gewühlt, gelblich gefärbten Fluthen gelangte die kleine Gesellschaft nach Rua-Tcheu, dem Herde einer entsetzlichen Empörung der Muselmanen im Jahre 1860. Von hier aus erreichte Kin-Fo mit seinen Begleitern, bald im Boote, bald im Wagen, unter großer Anstrengung die Festung Tong-Kuan am Zusammenflusse des Uei-Ro und des Ruang-Ro.
    Der Ruang-Ro ist der berühmte Gelbe Fluß. Er kommt in gerader Richtung aus Norden, strömt durch die östlichen Provinzen und mündet in das Meer, das seinen Namen trägt, aber ebensowenig gelb ist, wie das Rothe Meer roth, daß Weiße Meer weiß und das Schwarze Meer schwarz aussieht. Ja, ein berühmter Strom, offenbar himmlischen Ursprunges, da seine Farbe die der Kaiser ist. Ein Sohn des Himmels, aber auch »der Kummer Chinas« wegen seiner gewaltigen Ueberschwemmungen, welche den großen Kaiserkanal zum Theile unfahrbar gemacht haben.
    In Tong-Kuan wären die Reisenden, selbst in der Nacht, in Sicherheit gewesen. Es ist das keine Handelsstadt, sondern eine Militär-Niederlassung, in welcher keine nomadische Bevölkerung lebt, sondern die Tataren-Mantschus, die Kerntruppen des chinesischen Heeres, ihren ständigen Sitz haben. Vielleicht gedachte Kin-Fo hier einige Tage zu rasten. Vielleicht suchte er in einem passenden Hôtel einmal ein bequemes Zimmer, eine schmackhafte Mahlzeit, ein gutes Bett – lauter Dinge, auf welche sich Craig und Fry, vorzüglich aber der arme Soun herzlich freute.
    Der Tölpel, dem seine Unvorsichtigkeit diesmal ein großes Stück seines edlen Zopfes kostete, beging aber die Unklugheit, auf der Zollstation statt des angenommenen Namens den wahren Namen seines Herrn anzugeben. Er vergaß eben, daß es nicht Kin-Fo, sondern Ki-Nan war, den er die Ehre hatte zu bedienen. Das gab ein schweres Ungewitter! Der Letztere sah sich gezwungen, die Stadt augenblicklich wieder zu verlassen. Der Name hatte seine Wirkung gethan. Der berühmte Kin-Fo war in Tong-Kuan angekommen. Jeder drängte sich, den Mann zu sehen, »dessen einziger lebhafter Wunsch es war, hundert Jahre alt zu werden«.
    Der entsetzte Reisende gewann kaum Zeit, mit seinen Begleitern der Ansammlung von Neugierigen zu entfliehen, die ihn auf jedem Schritte umringte. Zu Fuß – ja, buchstäblich zu Fuß – eilte er nun längs des Gelben Flusses dahin und unaufhörlich weiter, bis er sammt seinen Begleitern in einem kleinen Flecken vor Erschöpfung zusammenbrach, wo ihm sein Incognito doch wenigstens einige Stunden Ruhe sichern mußte.
    Der ganz außer Fassung gerathene Soun wagte kein Wort über die Lippen zu bringen. Mit dem kurzen Rattenschwänzchen, das noch von seinem Kopfe hing, wurde er zur Zielscheibe mancher verletzenden Witzelei. Die Gassenbuben liefen hinter ihm her und riefen ihm allerlei Dummheiten nach.
    Wie sehnte er sich danach, endlich anzukommen – aber wo? – da sein Herr, wie er sich damals William J. Bidulph gegenüber ausdrückte, immer der Nase nach weiter reisen wollte.
    In dem kleinen, zwanzig Li (ein Li = 442 Meter) von Tong-Kuan gelegenen Flecken, wo man gerastet hatte, gab es nun weder Pferde noch Esel, weder Wagen noch Tragbahren. Hier mußte man entweder bleiben oder den Weg zu Fuß fortsetzen. Diese Alternative war nicht geeignet, dem Schüler des Philosophen Wang, der sich hier sehr wenig als Philosoph erwies, die gute Laune wiederzugeben. Er schimpfte auf alle Welt und verdankte diese Lage doch nur sich selbst. O, wie bedauerte er jetzt die schöne Zeit, die er unter Verachtung jedes Genusses am Leben verbrachte! Wenn der Mensch das Glück nur soll schätzen lernen, nachdem er Langweile, Noth und Qual gekostet, wie Wang behauptete – er hatte jetzt Alles und bis auf die Neige gekostet.
    Bei dieser Reise sah er noch überdies wiederholt brave Leute unterwegs, die vielleicht keinen Heller in der Tasche hatten, aus deren Augen aber der Widerschein des Glückes leuchtete. Er überzeugte sich, daß die freudig gethane Arbeit die Mutter der

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