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Die Leiden eines Chinesen in China

Die Leiden eines Chinesen in China

Titel: Die Leiden eines Chinesen in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Verbindung besiegelt ist.
    Der Palankin langte an. Kin-Fo schritt auf denselben zu. Ein Ceremonienmeister überlieferte ihm den Schlüssel. Er ergriff diesen, öffnete die Thür und reichte der gerührten Le-U die Hand. Die Braut stieg aus und durchschritt die Reihe der Gäste, die sie durch Erheben der Hand bis zur Höhe der Brust ehrerbietig begrüßten.
    Eben als die junge Frau den Eingang des Hôtels betrat, ertönte ein Signal. Ungeheure leuchtende Papierdrachen stiegen empor, schaukelten sich im leichten Abendwind und zeigten die vielfarbigen Embleme von Drachen, Phönix und anderen Andeutungen einer Hochzeit. Gleichzeitig flogen an Faden Tauben auf, die einen tönenden Apparat trugen und die Luft mit sanfter Harmonie erfüllten. Dazu brannte man Schwärmer und Leuchtkugeln in allen Farben ab, welche zerspringend einen wahren Goldregen ausschütteten. Plötzlich hörte man von dem Boulevard Tiene-Men her ein entferntes Geräusch. Es war ein Geschrei, untermischt mit den durchdringenden Tönen einer Trompete. Dann ward es einen Augenblick still und nachher erhob sich der Lärm von Neuem.
    Der Trubel kam näher und näher und erreichte endlich die Stelle, wo der Hochzeitszug Halt gemacht hatte.
    Kin-Fo lauschte. Seine Freunde warteten, daß die junge Frau in das Hôtel eintreten sollte.
    Dann entstand auf der Straße eine eigenthümliche Bewegung. Näher und deutlicher vernahm man das Schmettern der Trompete.
    »Was hat das zu bedeuten?« fragte Kin-Fo.
    Le-U’s Gesichtsausdruck verdüsterte sich. Ein dunkles Vorgefühl ließ ihr Herz stürmischer schlagen.
    Jetzt brach ein Menschenstrom in die Straße ein. Alles umringte einen Herold in kaiserlicher Livree, den mehrere Tipaos begleiteten.
    Dieser Herold rief unter allgemeinem Schweigen einige Worte aus, auf welche ein Gemurmel antwortete:
    »Die verwitwete Kaiserin ist verschieden!
    Verbotene Zeit! Verbotene Zeit!«
    Kin-Fo begriff Alles. Das war ein Schlag, der ihn empfindlich traf. Er vermochte kaum einen Ausbruch des Zornes zurückzuhalten.
    In Folge des Todes der verwitweten Kaiserin hatte der Hof jetzt Trauer bekommen. Während einer durch Gesetz zu bestimmenden Zeit war es Jedermann untersagt, sich den Kopf zu rasiren, öffentliche Feste oder Schaustellungen zu veranstalten, während die Gerichte ihre Sitzungen aussetzten und auch keine Vermählung abgeschlossen werden durfte.
    Trostlos, aber ergeben machte Le-U zum bösen Spiele gute Miene, um ihrem Verlobten nicht noch mehr Herzeleid zu bereiten. Sie ergriff die Hand Kin-

    »So warten wir noch!« sagte sie mit einer Stimme, in welcher sich doch ihre Erregung nicht ganz verbergen konnte.
    Die Sänfte kehrte mit der jungen Frau nach der Cha-Chua-Allee zurück, die Festlichkeiten wurden eingestellt, die Tafeln abgeräumt, die Musik nach Haus geschickt und die Freunde des verzweifelnden Kin-Fo trennten sich, nachdem sie ihm ihr herzliches Bedauern ausgesprochen hatten.
    Das kaiserliche Verbot im Geheimen zu übertreten, daran war gar nicht zu denken.
    Das Mißgeschick verfolgte Kin-Fo noch immer. Es war für ihn wieder Gelegenheit, sich der weisen Lehren zu erinnern, die er von seinem alten Lehrer erhalten hatte.
    Kin-Fo war mit Craig und Fry allein in dem verlassenen Saale des »Hôtels zum Himmlischen Glück« – ein Name, der ihm jetzt als recht bitterer Sarkasmus erschien – zurückgeblieben.
    Die Dauer der verbotenen Zeit konnte von dem Sohne des Himmels ganz nach Gutdünken festgesetzt werden. Und er hatte darauf gerechnet, auf der Stelle nach Shang-Haï zurückzukehren, die junge Frau in seinem reichen Yamen einzuführen und unter veränderten Verhältnissen nun ein neues Leben zu beginnen!…
    Eine Stunde später trat ein Diener ein, der ihm einen, eben von einem Boten abgegebenen Brief überlieferte.
    Kin-Fo, der die Schriftzüge der Adresse erkannte, konnte einen leisen Schrei nicht unterdrücken.
    Der Brief kam von Wang und enthielt Folgendes:
    »Mein Freund! Ich bin nicht todt, doch wenn Du diese Zeilen erhältst, werde ich aufgehört haben zu leben!
    »Ich sterbe, weil mir der Muth fehlt, mein Versprechen zu halten. Doch beruhige Dich, ich habe für Alles gesorgt.
    »Lao-Shen, ein Anführer der Taï-Ping, mein alter Kriegskamerad, besitzt Deinen Brief! Er wird das Herz und die sichere Hand dazu haben, den entsetzlichen Auftrag auszuführen, den Du mir aufdrängtest. Ihm wird also das für mich versicherte Capital zufallen, das ich ihm überwiesen habe, und das er erheben wird, wenn Du nicht

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