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Die Leiden eines Chinesen in China

Die Leiden eines Chinesen in China

Titel: Die Leiden eines Chinesen in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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bemerkbar macht.
    Bald zeigte sich Tien-Tsin. Hier gab es einigen Aufenthalt, da erst die öffentliche Brücke geöffnet werden mußte, welche beide Ufer des Stromes verbindet; dazu lagen Hunderte von Schiffen im Hafen, durch welche der Dampfer sich vorsichtig seinen Weg zu bahnen hatte. Da gab es Geschrei von allen Seiten und mancher Barke kostete es ihre Taue, mit denen sie im Strome festgehalten war. Letztere schnitt man übrigens einfach entzwei, ohne zu fragen, ob man Anderen dadurch einen Schaden bereite oder nicht. Natürlich entstand gleichzeitig ein gewaltiger Wirrwarr von stromabwärts treibenden Schiffen, welche den Hafenmeistern von Tien-Tsin ein gut Stück Arbeit verursacht hätten, wenn es hier überhaupt Hafenmeister gegeben hätte.
    Es versteht sich von selbst, daß Craig und Fry während der ganzen Fahrt ihren Clienten nicht einen Augenblick aus den Augen ließen.
    Es handelte sich ja nicht mehr um den Philosophen Wang, mit dem man sich leicht hätte verständigen können, wenn es nur gelang, ihm die nöthigen Mittheilungen zu machen, sondern um Lao-Shen, einen Taï-Ping, den sie noch nicht einmal kannten und der ihnen deshalb um so gefährlicher erschien. Da man auf dem Wege zu ihm war, hätte man sich hier eigentlich sicher fühlen können, doch wer stand dafür, daß er sich nicht selbst schon aufgemacht hatte, sein Opfer zu suchen? Craig und Fry sahen in jedem Passagier des Peï-Tang einen Mörder! Sie aßen nicht mehr, sie schliefen nicht mehr, sie waren für alles Andere abgestorben!
    Waren aber Kin-Fo, Craig und Fry nur sehr unruhig, so verging der arme Soun fast vor Angst. Schon der Gedanke, auf das Meer zu gehen, schnürte ihm das Herz zusammen. Er erbleichte mehr und mehr, je mehr der »Peï-Tang« sich dem Golfe von Pe-Tche-Li näherte. Seine Nase spitzte sich zu und der Mund krampfte sich zusammen, obwohl der Dampfer vollkommen ruhig das Wasser des Stromes durchschnitt.
    Was sollte erst daraus werden, wenn Soun die kurzen, stoßenden Wellen eines eingeschränkten Meeres ertragen sollte, bei denen die Schiffe weit heftiger und häufiger stampfen als im freien Ocean!
    »Sie waren noch nie auf See? fragte ihn Craig.
    – Noch niemals.
    – Es bekommt Ihnen wohl nicht? fragte Fry.
    – Nein!
    – Halten Sie den Kopf immer hoch, sagte Craig.
    – Den Kopf?
    – Und machen Sie den Mund nicht auf…. setzte Fry hinzu.
    – Den Mund?…«
    Soun machte den beiden Agenten begreiflich, daß er am liebsten gar nicht spreche, und begab sich nach der Mitte des Schiffes, nicht ohne einen Blick über den jetzt schon sehr breiten Strom geworfen zu haben; jenen melancholischen Blick der Leute, denen man es ansieht, daß sie der für den Zuschauer immer etwas lächerlichen Seekrankheit nicht entgehen werden.
    Der Anblick der Landschaft zu den Seiten des Flusses hatte sich allmälich verändert. Das rechte, steilere Ufer contrastirte mit seinen Abhängen merkbar gegen das linke, an dessen flachem Strande eine leichte Brandung schäumte. Jenseits erstreckten sich endlose Felder mit Sorgho, Mais, Weizen und Hirse.
    So wie überall in China – eine Mutter, die so viele Millionen Kinder zu ernähren hat – sah man nirgends das kleinste Stückchen kulturfähigen Landes, das brach gelegen hätte. Ueberallhin schlängelten sich Kanäle zur Bewässerung oder waren Bambusgerüste aufgestellt, mit einer Art sehr einfacher Schöpfräder, welche reichliche Wassermengen nach allen Seiten verbreiteten. Da und dort erhoben sich in der Nähe von Dörfern, welche ganz aus gelbem Lehm zu bestehen schienen, vereinzelte Baumgruppen, darunter uralte Apfelbäume, welche auch einer Ebene der Normandie zur Zierde gereicht hätten. An den Ufern tummelten sich eine Menge Fischer, denen Seeraben als Jagdhunde, oder vielmehr als »Fischhunde« dienten. Diese Vögel tauchten nämlich auf das Geheiß ihres Herrn in’s Wasser und bringen die Fische heraus, die sie nicht verschlucken können, weil ihnen ein Ring den Hals halb einschnürt. Daneben fliegen bei dem Geräusch des Dampfbootes Enten, Krähen, Raben, Elstern und Sperber zu Tausenden vom Strande auf.
    Bot die Landstraße längs des Flusses jetzt das Bild der Verlassenheit, so nahm der Verkehr auf dem. Peï-Ho eher noch mehr zu. Welche Unzahl von Schiffen jeder Art bewegte sich auf demselben stromauf-oder stromabwärts! Kriegsdschonken mit ihrer Deckbatterie, deren Dach von vorn nach hinten einen tiefen concaven Bogen bildet und welche entweder von zwei Reihen von Rudern oder

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