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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaime Manrique
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Verwendung mehr für mich hatte, würde er unsere Beziehung dann noch aufrechterhalten wollen? Ich durfte mich nicht an ihn wenden, das verstand sich von selbst. Allerdings schickte ich ihm ein Beileidsschreiben.
    Lange Wochen vergingen. Und dann, zum ersten Mal in all den Jahren unserer Bekanntschaft bekam ich eine schriftliche Nachricht von Don Luis, in der er mir für meinen Brief dankte und mich, zu meinem ungläubigen Staunen, aufforderte, ihn am kommenden Sonntagnachmittag bei sich zu Hause zu besuchen.
    Nachdem ich jahrelang auf eine Einladung in das prächtige Haus der Laras gewartet hatte, das gerühmt wurde wegen seiner Eleganz, der bedeutenden Gemälde und der herrlichen Wandteppiche, achtete ich kaum auf die Ausstattung, als der Majordomus mich nun in die Bibliothek führte, ein riesiger rechteckiger Raum mit Regalen, die bis zur Decke reichten und die man von einem rings um den Raum verlaufenden Metallgang aus erreichte, zu dem eine Leiter hinaufführte.
    Don Luis saß am offenen Fenster, das zum Innenhof hinausging. Als ich näher kam, begrüßte er mich: »Pascual, wie schön von Ihm, dass Er mich besucht. Bitte setz Er sich.«
    Ich nahm Platz und bemerkte dann ein grausiges Objekt, das in einem Glasgehäuse auf dem Tisch neben Don Luis stand. Ich konnte den Blick nicht davon losreißen. Mein Interesse entging ihm nicht.
    »Das ist der Schrumpfkopf meines kleinen Diego«, sagte er leise. »So haben die Wilden es ihm gedankt, dass er sie in den Schoß Gottes heimführen wollte.«
    Seine Stimme war schwach, doch voller Zorn. Mir wurde übel. Ich richtete den Blick auf Don Luis. Ich konnte es nicht ertragen, den monströsen Kopf noch länger anzusehen. Seit ich Don Luis das letzte Mal getroffen hatte, waren zwar nur wenige Monate vergangen, doch wäre ich ihm auf der Straße begegnet, hätte ich ihn womöglich nicht erkannt. Er war auf die Hälfte seiner früheren Statur geschrumpft (und er war kein kräftiger Mann gewesen).
    »Vor zwei Tagen habe ich dem Kardinal geschrieben, dass ich von meinem Amt als Anklagevertreter der Heiligen Inquisition zurücktrete«, begann er. »Zuerst glaubte ich, die Arbeit würde mich ablenken, Pascual. Aber dann stellte ich fest, dass ich an nichts anderes als das Schicksal meines Sohnes denken kann. Ich tauge nicht mehr für diese Welt.« Er seufzte. »Ich verbringe meine Tage in der Familienkapelle und bete, aber das Beten lindert nicht meinen Schmerz. Es hilft mir nur, die Stunden zu vertreiben. Ich habe den Appetit verloren, ich kann nicht schlafen, selbst das Reden ist mir oft eine Qual. Ich kann die Gegenwart der meisten Menschen nicht ertragen. Wer nicht das Unglück erlebt hat, den einzigen Sohn zu verlieren, kann die Tiefe meines Schmerzes nicht begreifen. Der Einzige, mit dem ich mich regelmäßig unterhalte, ist Pater Jerónimo, der Dieguitos Lehrer war. Er versteht, was ich empfinde. Er weiß, was ich verloren habe.«
    Dann verstummte er und schaute zum Fenster hinaus auf den verdorrten Garten. Ich versuchte, ihn mit dem üblichen Klatsch abzulenken, aber er ging nicht darauf ein. Nur ab und zu nickte er, um mir zu bedeuten, dass er zuhörte. Er tat mir leid. Durch die Trauerfälle des Lebens werden wir alle ebenbürtig.
    Als ich mich verabschiedete, war die Hand, die er mir reichte, kalt und klamm. Es ist, als würde ich einem Toten die Hand geben, dachte ich.
    »Es freut mich, Ihn zu sehen, Pascual«, flüsterte er und klang etwas angeregter. »Ich fürchte, ich bin zurzeit wenig gesprächig. Aber wenn Er meine Gesellschaft ertragen kann, besuche Er mich wieder. Es tut mir gut, Ihn zu sehen, auch wenn ich wenig rede.«
    Meine geliebte Mutter starb nach einer kurzen Krankheit, die sie binnen weniger Tage dahinraffte. Mein Vater war bereits verstorben, als ich noch klein war, davon abgesehen hatte ich keine Tragödien erfahren. Wenn mein Leben einen Zweck hatte, dann den, meine Mutter und ihre Schwester zu unterstützen. Meine Mutter war kaum unter der Erde, als Tante María erklärte, sie habe ihre Taschen gepackt und werde nach Jaén fahren, um ihre letzten Tage auf Erden mit einer anderen Schwester zu verbringen. Ich war erleichtert, als ich sie eines Morgens in eine Kutsche nach Süden setzte, aber als ich in das leere Haus zurückkehrte, war es unwirtlich wie ein kaltes Mausoleum.
    Meine Trauer brachte mich Don Luis näher. Es gab mir Trost, abends nach der Arbeit zu ihm zu gehen. Offenbar duldete er meine Besuche. Er ging, aß und sprach zwar wie jeder

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