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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaime Manrique
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schreiben, gestaltete ich einige der Hauptfiguren nach Miguels Eltern. An dieser Stelle ist es mir wichtig, den Unterschied zwischen dem Autobiografischen (in dem man sein eigenes Leben verwertet) und dem Biografischen (das auf der Beobachtungsgabe des Schriftstellers beruht) hervorzuheben. Die Gestalt des Vaters weckte in mir erst die Idee, etwas über einen Träumer zu schreiben, der seine Familie ins Verderben stürzt. Don Rodrigo war das Vorbild für den verrückten Don Quijote , und Miguels Mutter sollte zu der realistischen Haushälterin und praktisch denkenden Nichte werden. Ich wiederhole, ich war derjenige, der sich überlegte, diese Personen zu Romanfiguren umzusetzen. Mein großer Fehler war, dass ich eines Abends, als wir bei einem Krug Wein zusammensaßen und einen Becher zu viel getrunken hatten, Miguel von dieser Idee erzählte (allerdings nicht, dass meine Figuren auf seinen Eltern beruhten). Daraufhin hatte er nichts Besseres zu tun, als mir mein Geistesprodukt zu stehlen und den ausufernden, kunstlosen ersten Teil seines Don Quijote zu veröffentlichen, ehe ich überhaupt die Gelegenheit hatte, meinen fertigzustellen.
    Trotz der vielen Unterschiede zwischen uns stärkte das Feuer der Dichtkunst meine Freundschaft mit Miguel. Zwei Freunde, die bis in die Ewigkeit durch die Literaturgeschichte verbunden waren – so sah ich uns. Und wann immer wir darüber sinnierten, was wohl die Zukunft für uns bereithielt, zitierten wir die ersten Zeilen eines der berühmtesten Sonette Garcilasos, die die Ungewissheit unseres jungen Lebens genau in Worte fassten:
    Wenn ich innehalte, um mein Leben zu bedenken
    und zu betrachten die Schritte, die mich hierher geführt …
    Im Oktober 1568 starb die dritte Gemahlin König Felipes II., die französische Prinzessin Isabel de Valois, bei der Fehlgeburt eines fünf Monate alten Fötus. Sie war noch nicht einmal dreiundzwanzig Jahre alt. Sie hatte den Beinamen »Prinzessin des Friedens« bekommen, weil ihre Vermählung mit unserem König anno 1559 den Frieden zwischen Frankreich und Spanien besiegelt und unserem Reich die Herrschaft über Italien gesichert hatte. Wie alle Spanier verehrte und vergötterte ich Isabel.
    Als sie in Spanien eintraf, spielte sie noch mit Puppen. Der König musste zwei Jahre warten, bis Isabel das erste Mal menstruierte und die Ehe vollzogen werden konnte. Das frisch vermählte Paar sprach keine gemeinsame Sprache (unser König konnte sich nicht auf Lateinisch verständigen). Felipe war doppelt so alt wie sie und hatte eine Affäre mit einer Zofe seiner Schwester, Prinzessin Juana. Isabel war sehr unglücklich, denn ihr Vater hatte ebenfalls eine Geliebte gehabt, Diane de Poitiers, was Isabels Mutter sehr geschmerzt hatte. Isabel tat, als wüsste sie nichts von der Untreue ihres Mannes. Als Königin gewann sie die Herzen der Spanier, indem sie perfekt Kastilisch lernte. Sie förderte die Künste – insbesondere die Malerei – und schrieb selbst Musikkompositionen. Während ihrer allzu kurzen Herrschaftszeit verwandelte Isabel den Hof Felipes in einen der kultiviertesten Europas.
    Isabels Untertanen beteten für die Geburt eines Infanten. Ihr erster Versuch, ein Kind zu gebären, endete damit, dass sie im dritten Monat eine Fehlgeburt zweier Mädchen erlitt. Sie erkrankte schwer, und ganz Spanien fürchtete um ihr Leben. In diesen bangen Wochen strömten Spanier aller Klassen und Schichten in die Kathedralen und Kirchen, um Kerzen zu entzünden und für ihre Königin zu beten. Auf den Plazas von Madrid nahmen gewaltige Menschenmengen an Gebetsversammlungen teil, vor den Toren des Real Alcázar, wo das Leben der jungen Königin wie eine erlöschende Flamme flackerte, wurden Tausende Kerzen entzündet. Wir lasen in unserer Familienkapelle zweimal am Tag die Messe und beteten zum Allmächtigen, er möge ihr Leben verschonen. Die Gebete all der Menschen waren so inbrünstig, dass sie in einer volltönenden Wolke zum Himmel aufstiegen und die ganze Nacht durch die Stadt hallten. Die Verehrung, die einfache Madrileños für Isabel empfanden, berührte mich tief.
    Ein italienischer Chirurg, der am Hof zu Besuch weilte, rettete ihr das Leben. Nachdem sie von ihrer fast tödlich verlaufenen Krankheit genesen war, lebten der König, der Hof und alle Spanier für den Tag, an dem sie erneut guter Hoffnung sein würde. Als sie unfruchtbar blieb, riet ihr der Erzbischof von Toledo, die unversehrten Überreste des Heiligen Eugen aus Frankreich nach Madrid

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