Die Leidenschaft des Cervantes
freue, dich kennenzulernen. Ich wünsche mir, dass ihr euch so nah werdet wie Bruder und Schwester.«
Als Miguel und ich vor der weißen Marmorfassade der Universidad Cisneriana standen, hoffte ich, Miguel würde es sich anders überlegen und doch in mein Angebot einwilligen, während meiner Jahre an der Universität mit mir zusammenzuleben. Als aber die Zöglinge der bedeutenden Familien eintrafen, um die Vorlesungen dieses Tages zu besuchen, angetan mit dunklen Samtumhängen und Hüten, auf denen exotische Federn prangten, bewaffnet mit Dolchen und Schwertern, auf edlen Pferden reitend und begleitet von Pagen, Kammerdienern und Lakaien, die auf der Plaza ihr Lager aufschlugen, während ihre Herrschaften den Vorträgen lauschten, war mir klar, das Miguel sich mit ihnen verglich und sich minderwertig fühlte. Er wusste, dass eine derartige Zurschaustellung von Vermögen für ihn undenkbar war.
Die Nachkommen des spanischen Adels hoben sich stark von den anderen Studenten ab, die sich auf dem Universitätsgelände herumtrieben und als capigorristas bekannt waren. Ihre Umhänge bestanden aus schlichtem Tuch, und ihre Stoffhauben schützten ihre Köpfe bei kaltem Wetter nur ungenügend.
Wir verbrachten ein paar kurzweilige Stunden mit der Besichtigung der erhabenen Gebäude. Miguel bewunderte insbesondere die goldene Holzdecke im Großen Saal, in die maurische Motive eingraviert waren, die gotischen Bleifenster, die beeindruckende Kapelle, die Innenhöfe mit den im romanischen Stil gestalteten Bögen und Säulen, zwischen denen hohe Zypressen aufragten, und die Blumengärten inmitten der Gebäude. Vögel ließen sich dort nieder, um aus den prachtvollen Marmorbrunnen zu trinken, zu baden und zu singen.
Später sah ich mir einige Häuser an, die als Unterkunft infrage kamen. Anschließend bestand ich darauf, Miguels Geburtshaus zu sehen, das, wie er sagte, nicht weit von der Universität entfernt liege. Don Rodrigo Cervantes hatte mehrmals von den glorreichen Tagen der Familie gesprochen, als sie in Alcalá in einer vornehmen Residenz lebten, ehe das Unglück sie heimsuchte. Das zweistöckige Haus, dessen Garten gerade Platz für ein paar Rosensträucher bot, lag an der Kreuzung, die das maurische vom jüdischen Viertel trennte, direkt neben dem Krankenhaus, das die Siechen, die Sterbenden und die Verrückten gleichermaßen aufnahm, wie es damals in Spanien üblich war. Miguel tat mir leid – mit den Schreien der Geisteskranken groß zu werden, die Tag und Nacht lamentierten, mit dem Stöhnen der Leprösen und den Wehklagen der Todkranken, die unter Schmerzen starben. Mir wurde übel von dem Pesthauch, der vom Hospital herüberwehte. Dass jemand schöne Erinnerungen an dieses Haus haben konnte, war mir unvorstellbar.
Wir gingen weiter zu der Schule, in der Miguel lesen und schreiben gelernt hatte, ein winziges, mittlerweile leer stehendes mittelalterliches Häuschen. Durch ein kaputtes Fenster sah ich in einen niedrigen Raum, dessen Wände mit zerbrochenen maurischen Fliesen bedeckt waren. Nach diesem Besuch in Alcalá konnte ich Miguel erst richtig begreifen. Ich empfand Mitleid mit ihm wegen seiner Kindheit und Jugend, und dadurch fiel es mir leichter, über seinen brennenden Ehrgeiz hinwegzusehen. Wir übernachteten in einem Gasthof nahe der Universität, wo Studenten sich zum Trinken zusammensetzten. In seiner Verzweiflung leerte Miguel eine Karaffe nach der anderen. Zweimal musste ich einschreiten, um ihn von einer Rauferei abzuhalten. Ich wusste, mit seinem aufbrausenden Temperament würde er früher oder später in Schwierigkeiten geraten.
Meine Liebe zu meiner Cousine Mercedes war ein wohlgehütetes Geheimnis. Obwohl sie und ich nie über unsere Gefühle füreinander gesprochen hatten, brauchte ich keinerlei Beweise dafür, dass sie meine Zuneigung erwiderte. Seit meiner Kindheit gingen meine Eltern, unsere Großeltern und alle anderen in der Familie davon aus, dass wir, wenn ich einmal das Studium abgeschlossen hätte, Mann und Frau würden.
Mercedes war schon als Kind zu meinen Großeltern mütterlicherseits nach Toledo gekommen. Ihre Mutter, meine Tante Carmen, war bei der Geburt gestorben. Der Tod seiner jungen Frau schmerzte den Vater, Don Isidro Flores, so sehr, dass er Mercedes der Obhut meiner Großeltern anvertraute und in die Neue Welt reiste, wo er bei einer Auseinandersetzung mit den Wilden im unwegsamen Dschungel getötet wurde.
Wir trafen am Vormittag im Haus meiner Großeltern ein. Ich
Weitere Kostenlose Bücher