Die Leidenschaft des Cervantes
Ich verbeugte mich vor Andrea, lief die Treppe hinunter und an Don Rodrigo vorbei auf die Straße hinaus. Ich bekam keine Luft mehr und glaubte zu ersticken.
Außer mir vor Eifersucht und mörderischer Wut brach ich noch am selben Nachmittag nach Toledo auf. Ich musste die Wahrheit erfahren, ein für alle Mal. Wie ein Dieb betrat ich das Haus meiner Großeltern, das Haus der Laras, sprang über die Mauer, die den Obstgarten umgab, und kletterte auf den Balkon vor Mercedes’ Gemächern. Die Tür stand offen, der Raum war leer. Als wäre ich ein Verbrecher, der jeden Moment gefasst werden könnte, verbarg ich mich in ihrer Schlafkammer hinter einem Wandteppich und beschloss, auf sie zu warten. Ich war wie von Sinnen, aber ich konnte nicht anders. Ich brauchte nicht lange zu warten.
Mercedes und Leonela betraten das Zimmer, gefolgt von Miguel. Fast hätte ich aufgeschrien. Leonela verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich. Miguel griff nach Mercedes’ Hand. Mein erster Impuls war, mein Schwert zu ziehen und es ihm ins Herz zu stoßen. Aber man hatte mich gelehrt, Zurückhaltung zu üben.
»Ich bin einem anderen Mann versprochen«, sagte sie heftig. »Bitte verlasst jetzt diesen Raum und besucht mich niemals wieder. Ihr seid in diesem Haus nicht mehr willkommen. Leonela!«, rief sie.
Sofort trat ihr Mädchen ein, als hätte sie vor der Tür Wache gestanden. Mercedes sagte: »Miguel verlässt uns jetzt.«
Der Schuft blieb auf der Schwelle stehen und fragte, ob es irgendeine Hoffnung für ihn gäbe.
»Nein«, sagte Mercedes mit Nachdruck. »Nicht die geringste.«
Er wollte nicht aufgeben. »Ich werde nie aufhören, auf Euch zu warten. Wenn nötig, für den Rest meines Lebens.«
Mercedes trat zu ihm, legte eine Hand auf seine Brust und schob ihn hinaus, bis er auf der anderen Seite der Schwelle stand. Dann schloss sie die Tür vor seiner Nase. Ihr unbestechliches Verhalten beruhigte mich. Ich schämte mich, ihr jemals misstraut zu haben. Ich musste mich nicht weiter hinter dem Wandteppich verstecken. Ich hatte gesehen, was ich zu sehen brauchte. Und Mercedes sollte nicht erfahren, dass ich diese Szene mit angesehen hatte. Sie ließ sich aufs Bett fallen, vergrub ihr Gesicht im Kissen und brach schluchzend in Tränen aus. Auf Zehenspitzen schlich ich zum Balkon und kletterte in den Garten hinunter. Mein Herz war auf den Tod verletzt, so ritt ich nach Alcalá zurück. Ich würde nie mehr an Freundschaft glauben.
Später, im ersten Teil von Don Quijote , schilderte Miguel eine Version seines Verrats, nämlich in der Novelle vom »Maßlos Wissbegierigen«, eine der drögen Episoden, die er ohne jede Rücksicht auf das Gefüge des Hauptromans einschob. In der Erzählung versuchte er sich von seiner Schuld reinzuwaschen, indem er implizierte, ich hätte ihn, wie Anselmo, ermutigt, Mercedes zu umwerben, um ihre Sittsamkeit auf die Probe zu stellen.
Im Lauf der Tage wuchs die Wut in meinem Herzen zu einem wuchernden Geschwür an. Auf irgendeine Art musste ich mich rächen, damit ich wieder Herr über mein Leben wäre. Ich würde Miguel Cervantes für seine Anmaßung und seinen ungeheuerlichen Verrat bestrafen. Ich verließ Alcalá und ritt nach Madrid. Meine Eltern waren überrascht, mich zu sehen. Ich sagte, ich müsse wegen einer Arbeit für die Universität ein paar Tage hier verbringen. Ich schrieb ein anonymes Sonett, in dem ich Andreas Geheimnis lüftete, kopierte es ein Dutzend Mal und bat meinen Leibdiener, das Gedicht an die Türen von Kirchen und anderen bedeutenden öffentlichen Gebäuden in Madrid zu schlagen. Dann ging ich zu Aurelio, dem Mann, der für die Stallungen und den Schweinekoben zuständig war. »Schneide Er den Kopf unseres größten Schweins ab und lege Er ihn vor ein Haus«, sagte ich. Ich gab ihm Miguels Adresse. »Im Morgengrauen. Gebe Er acht, dass niemand Ihn sieht.« Das war die übliche Methode, um eine Familie öffentlich als conversos anzuprangern.
Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis jemand Miguel beleidigte, indem er ihn einen Juden nannte oder den Bruder einer Hure, und um seine Ehre zu verteidigen, würde er sich dann duellieren müssen.
Einige Tage später schickte ich einen Diener zu Miguel mit der Aufforderung, mich abends in einer Taverne zu treffen, wo sich Dichter und anderes Gelichter herumtrieben. Als Miguel hereinkam, war er verdrossen und sah aufrichtig bekümmert aus. Wir spielten Karten. Ein Mann namens Antonio de Sigura fragte, ob er mitspielen dürfe. Ich
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