Die Leidenschaft des Cervantes
Kardinal Acquaviva darum gebeten, Gedichte von mir zu sehen. Er war nur wenige Jahre älter als ich, aber durch seine große, aristokratische Erscheinung, seine Aura von Macht, sein weltgewandtes Auftreten, die Genauigkeit und Eleganz seiner Sätze, seine weißen, weichen Hände und die langen Musikerfinger, die mit eindrucksvollen blutroten Steinen in derselben Farbe wie seine prächtige Kleidung geschmückt waren – durch all das hatte ich in seiner Gegenwart das Gefühl, ein bloßer Knabe zu sein. Ich erinnerte mich noch genau an die Komplimente, die er mir für meine Gedichte gemacht hatte: »Professor López de Hoyos spricht von Euch als einer der kommenden Größen der spanischen Literatur«, sagte er eines Abends beim Essen zu mir. »Er schwärmt von der Eleganz Eurer Strophen, der Originalität Eurer Gedanken und der Wortgewalt Eures Ausdrucks. Ich versuche mich hin und wieder selbst als Lyriker. Wollt Ihr mir ein paar Eurer Gedichte zeigen?«
So gab ich dem Kardinal zu Händen eine Auswahl meiner Gedichte, zusammengerollt und mit einer Schleife gebunden, im Haus des Professors ab. Als ich Acquaviva das nächste Mal sah, sagte er: »Cervantes, Ihr müsst nach Rom kommen, um Italienisch zu lernen und die italienische Dichtung zu studieren. In meinem Haushalt findet Ihr immer eine Anstellung.« Das deutete ich dahingehend, dass ihm meine Gedichte gefielen. An diese beiläufig ausgesprochene Einladung klammerte ich mich jetzt, sie war der einzige Lichtblick in meinen kümmerlichen Dasein, der einzige Hoffnungsschimmer am düsteren Horizont.
Das Wetter war mild in jenem Herbst, als ich mit den Zigeunern durch die bewaldeten Täler von Südfrankreich zog, das Laub stand wie in Flammen, gold bestäubte Bienen summten trunken durch die stille Nachmittagsluft. Wir lagerten in idyllischen Kastanien- und Korkeichenwäldern, die mich an die Schilderungen von Szenerien in Schäferromanen erinnerten. Es wimmelte von Kaninchen, Igeln, Rehen, Tauben, Rebhühnern, Fasanen, Wachteln und Wildschweinen. Am Tag durchstreiften die Frauen und Kinder die Wälder auf der Suche nach Beeren, Pinienkernen, Eiern, Schnecken, Pilzen, Kräutern und Trüffeln. Die älteren Frauen blieben im Lager und kümmerten sich um die Kleinsten, dabei klöppelten sie Spitze, knüpften bunte Baumwoll- und Leinenfäden zu Tischdecken, die in wohlhabenden spanischen Häusern als Schmuckstücke für die Tafel begehrt waren.
Wir lagerten am Rand kalter, plätschernder Bäche und schmaler, rasch fließender Flüsse, in denen dicke Forellen umherschossen; die fingen wir mit bloßen Händen vom bemoosten Ufer aus. Nachts saßen wir rund um ein Lagerfeuer. Junge Mütter hockten auf dem Boden, stillten ihre Kleinen und zeigten ihre prallen Brüste ohne Scham vor den Männern. Diese Sitte trug zum Ruf der Roma bei, unmoralisch zu sein. Mit fortschreitendem Abend hallten Händeklatschen und das Rasseln von Tamburinen durch das Lager, Fässer mit rotem Wein wurden entkorkt, Pfeifen mit aromatischem Haschisch geraucht. Das Tanzen und Singen zog sich hin, bis alle – einschließlich der ganz Jungen und Alten – erschöpft und berauscht zu Boden sanken.
Die paar Gold- escudos , die mir noch geblieben waren, nachdem ich El cuchillo bezahlt hatte, ließ ich nicht aus den Augen. Vor dem Schlafengehen versteckte ich den Lederbeutel zwischen Hodensack und Unterwäsche. Vielleicht war meine Wachsamkeit überflüssig. Maese Pedro hatte mich den Zigeunern als kriminellen Dichter vorgestellt, der wegen zahlreicher Morde gesucht werde. Dank dieser Legende hieß ich allgemein nur »Bruder Miguel« oder »Dichter«. Die Kinder konnten die Ehrfurcht nicht verhehlen, die mein Ruf in ihnen weckte.
Die Faszination, die Zigeuner zeit meines Lebens auf mich ausübten, geht auf diese Reise zurück. Ihre Vorliebe für das Trinken, fürs Tanzen, die erotische Liebe und das Kämpfen, dazu ihre unbedingte Verbundenheit mit ihren Bräuchen und ihrem Volk waren Qualitäten, die mir alle viel bedeuteten. Sie sprachen Kastilisch – und ein paar Brocken manch anderer europäischer Sprachen –, doch untereinander unterhielten sie sich auf Caló . Ich verbrachte viele wache Stunden damit, mit den Kindern zu reden und die Grundzüge ihrer Sprache zu lernen. Ich wusste aus eigener Erfahrung, was ich schrieb, als ich »Das Zigeunermädchen« mit den Zeilen begann: »Es scheint, als würden Zigeuner und Zigeunerinnen nur geboren, um Diebe zu sein; ihre Eltern sind Diebe, unter Dieben
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