Die Leidenschaft des Cervantes
konnte es kaum erwarten, Mercedes zu sehen. Ein Bediensteter führte Miguel in ein Gästezimmer, wo er sich den Straßenstaub abwaschen konnte. Ich fuhr mir mit einem nassen Lappen übers Gesicht, kämmte mir das Haar, schüttelte den Staub von den Rockärmeln, bürstete den Schmutz von meinen Stiefeln und ging zu Mercedes’ Gemächern. Sie wusste von meinem Besuch und erwartete mich bereits. Leonela, ihr Mädchen, das seit ihrer Kindheit bei ihr war, öffnete die Tür. Meine Cousine stand von ihrem Zeichentisch auf und lief zu mir. Zärtlich hielten wir uns im Arm. Leonela ließ uns allein. Ich küsste Mercedes’ glatte, rosige Wangen, die nach Jasmin dufteten.
Sie nahm meine Hand und führte mich zu den Kissen am Fenster, von dem aus man in den Obstgarten blickte. Ihr blondes Haar war unter einem Tuch verborgen, doch an den Schläfen hatten sich ein paar Strähnchen gelöst, die wie Goldfäden glitzerten. »Hast du in Alcalá ein Haus gefunden? Ich habe gehört, dass du deswegen dort warst.« Sie war so wunderschön, so zart und erhaben, dass ich kaum hörte, was sie sagte. Ein Anflug von Trauer zog über ihr Gesicht. »Hoffentlich findest du es nicht allzu anmaßend von mir, wenn ich sage, dass ich mir wünschte, ich könnte auch an der Universität studieren.« Ehe ich etwas darauf zu erwidern vermochte, fuhr sie fort: »Wie lange kannst du bleiben?«
Ich nahm ihre weiche Hand und betrachtete die zarten Finger. »Ich habe Miguels Eltern versprochen, dass wir morgen nach Madrid zurückreiten. Außerdem muss ich sofort wieder in die Schule. Aber ich komme bald wieder, und dann bleibe ich ein paar Tage, das verspreche ich.« Sie schloss die Augen, dann lächelte sie.
Mir zu Ehren ließ Großmutter Azucena ein exzellentes Essen auftragen, mit vielen meiner Leib- und Magenspeisen: eine Suppe aus Kichererbsen und Fasan, eine gebratene Keule vom Milchlamm, Serrano-Schinken, mit Pilzen gefüllte Forellen, einen Salat aus Früchten, Mandeln und Wachteleiern und eine Platte mit Oliven, Käse und turrones . Dazu tranken wir erlesene Weine von den Weinbergen unserer Familie bei Toledo. Das ganze Essen über war Mercedes ein Bild der kultivierten Sittsamkeit und Tugend, hielt den Blick gesenkt und sah nur zu mir und meinen Großeltern.
Obwohl meine Großeltern Miguel sehr herzlich aufnahmen, sagte er während des köstlichen Essens wenig und auch nur dann, wenn man das Wort an ihn richtete. Derart wortkarg hatte ich ihn noch nie erlebt, schob das jedoch auf seine mangelnde Erfahrung in gesellschaftlichem Umgang. Am besten schmeckte ihm offenbar der Serrano-Schinken, von dem man ihm eine zweite Portion servierte, und auch die aß er mit großem Appetit. Wollte er meiner Familie damit beweisen, dass er kein Jude war?
Nach dem Essen zogen wir uns zur Siesta auf unsere Zimmer zurück, zuvor vereinbarten wir jedoch, uns um vier Uhr wieder zu treffen und die Kathedrale und Garcilasos Grab zu besuchen.
Wir fuhren in der Kutsche meiner Großeltern, Leonela begleitete uns als Vierte in der Gruppe. Sobald wir in der Kutsche saßen, hob Mercedes ihren Schleier. Ihre Schönheit erleuchtete das Wageninnere.
Sie fragte Miguel, wie es ihm am Estudio de la Villa gefalle. Sofort wurde er ein Anderer: Er ahmte die Manierismen einiger unserer exzentrischen Lehrer nach und machte zweideutige Witze über ihr Erscheinungsbild. Seine leicht geschmacklosen Scherze waren ausgesprochen launig, wenn auch nicht ganz comme il faut in der Gegenwart einer Dame. Doch Mercedes gefielen seine Späße offenbar.
Dann fragte sie: »Singt Ihr auch, Señor Cervantes?«
Als Miguel zögerte, sagte ich: »Ja, er hat eine sehr schöne Stimme. Du solltest ihn hören, wenn er andalusische Balladen singt.«
Miguel wollte widersprechen, doch Mercedes unterbrach ihn. »Dann müsst Ihr uns etwas vorsingen. Ihr werdet doch einer Dame eine Bitte nicht abschlagen, nicht wahr?«
Miguel wurde puterrot. Er räusperte sich und stimmte eine Liebesballade an, die er mit Händeklatschen begleitete. Kurz fragte ich mich, ob Miguels Zurückhaltung nicht eine Art der Verführung war; fast kam es mir vor, als legte er es darauf an, Mercedes zu beeindrucken. Obwohl meine Cousine nichts tat, das zu Misstrauen Anlass gegeben hätte, durchfuhr mich ein Stich der Eifersucht. Nachdem Miguel seine Ballade beendet hatte, applaudierten wir alle, dann herrschte für den Rest der Fahrt Schweigen. Mercedes schaute zum Fenster hinaus, bis wir vor die Kathedrale fuhren.
Zunächst beteten
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