Die Leidenschaft des Cervantes
wir vor dem Hauptaltar und gingen anschließend weiter zu Garcilasos Grab. Ich freute mich, es Miguel zu zeigen. Er sank vor dem Marmorsarkophag auf die Knie und küsste den kalten Stein. Auch ich war, als ich Garcilasos letzte Ruhestätte das erste Mal besucht hatte, von Gefühlen übermannt worden. Leonela reichte Mercedes ein Sträußchen Rosen, das sie mitgebracht hatte und das meine Cousine nun an den Schrein des Dichters legte. Miguel erbot sich, ein Sonett zu rezitieren, das er zu Ehren des großen Toledano geschrieben hatte. Je weniger ich über dieses Sonett sage, desto besser. Mercedes jedoch schien es zu gefallen.
Ich war erleichtert, als wir Toledo wieder verließen. Auf dem Heimweg nach Madrid schwärmte Miguel von Mercedes und stellte mir viele Fragen über sie, die recht persönlicher Natur waren. Ich achtete darauf, nicht allzu viel preiszugeben.
»Sie ist so schön und intelligent und lebendig«, sagte Miguel.
Ich nickte schweigend.
»Ihre Spontaneität ist hinreißend«, fuhr er fort.
Bevor er Gelegenheit hatte, noch weiter von ihr zu reden, sagte ich: »Meine Eltern und Großeltern sind immer davon ausgegangen, dass wir heiraten.« Miguel konnte die Enttäuschung, die diese Äußerung ihm bereitete, nicht verbergen. Den Rest des Rückwegs nach Madrid war er sehr einsilbig.
Ich begann mein Studium an der Universität und war vollauf beschäftigt, besuchte die Veranstaltungen und ging ganz im Lernen und in meinem neuen Bekanntenkreis auf. Eines Tages erhielt ich mit der Post einen Brief von Mercedes, in dem sie mir die üblichen Nachrichten über die Gesundheit meiner Großeltern schrieb und viele Fragen über mein Leben an der Universität stellte. In einem Postskriptum, als sei es ihr erst nachträglich eingefallen, fügte sie hinzu, dass Miguel ihnen einen Besuch abgestattet habe. Zuerst dachte ich mir nichts dabei. Allerdings schrieb ich Miguel, ohne dabei seinen Besuch zu erwähnen. Ich bekam keine Antwort. Eine Woche verging, dann eine zweite. Sein Schweigen gab mir zu denken. Das Gift der Eifersucht breitete sich in meinem Herzen aus. Sofort verwarf ich den Gedanken, mein bester Freund könnte versuchen, meine Auserwählte zu umwerben. Was Mercedes betraf, wusste ich, dass sie zu edel gesinnt war, zu tugendhaft, um einen anderen Menschen zu hintergehen. Bei Miguel hatte ich allerdings gewisse Zweifel. Die Eifersucht verzehrte mich immer mehr, sodass ich zunehmend aufgewühlter wurde und nicht mehr studieren konnte, nicht mehr schlafen, nicht mehr essen. Die Studententavernen in Alcalá wurden mir zum Zuhause, dort saß ich allein in einer Ecke und trank, bis ich besinnungslos zusammenbrach. Meine Diener trugen mich nach Hause, bevor ich ausgeraubt und erstochen wurde. So konnte es nicht weitergehen. Ich war es meinem Familiennamen schuldig, mich stets als der caballero zu erweisen, der ich von Geburt an war. Eines frühen Morgens nach einer unendlich langen schlaflosen Nacht kleidete ich mich an, weckte aus einem Impuls heraus den Mann, der für die Stallungen zuständig war, und bat ihn, mein schnellstes Pferd zu satteln. Ich ritt entschlossen nach Madrid. Was hoffte ich denn, herauszufinden? Ich betete, mein Verdacht möge unbegründet sein.
Ich ritt direkt zu Miguels Haus und traf auf Don Rodrigo, der einem Patienten den übel riechenden Verband wechselte. »Don Luis«, sagte er überrascht. »Was haben wir die Ehre Eures Besuches zu verdanken?« Ich war zu ungeduldig, um mir seine üblichen Dummheiten anzuhören, also sagte ich nur: »Euch auch einen guten Morgen, Don Rodrigo. Ist Miguel zu Hause?«
Meine abrupte Frage verwirrte ihn offenbar. Während er weiter den Verband wechselte, sagte er: »Wenn ich’s mir recht überlege, habe ich Miguel seit … seit gestern nicht mehr gesehen. Ich dachte, er wäre in Alcalá, um Euch zu besuchen. Ist etwas nicht in Ordnung?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Meine Frau ist auf dem Markt, Don Luis, aber geht doch nach oben und fragt Andrea. Sie könnte wissen, wo Miguel ist. Eigentlich sollte er jetzt hier sein und mir zur Hand gehen. Das wäre der Platz, an den er gehört.«
Andrea gab gerade ihrem Kind die Brust. »Bitte steht nicht auf«, sagte ich. »Ich suche Miguel. Es ist dringend.«
»Miguel ist gestern nach Toledo geritten«, sagte Andrea und legte ihren Säugling ein wenig um, damit er die Blöße ihrer Brust bedeckte. »Er war in letzter Zeit ziemlich zerstreut.«
»Entschuldigt meine schlechten Manieren, aber ich bin in Eile.«
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