Die Leidenschaft des Cervantes
hatte ihn schon ein paar Mal gesehen, er war ein Ingenieur und nach Madrid gekommen, um im Auftrag des Hofes neue Straßen zu bauen. De Sigura verlor schnell sehr viel Geld, dann weigerte Miguel sich, weiterzuspielen. Die unvermeidliche Beleidigung folgte, Miguel verletzte de Sigura und musste flüchten. Mein Plan war aufgegangen. So, wie Miguel sein Leben führte, würde er über kurz oder lang tot sein.
Einen Tag nach Miguels Flucht aus Madrid brach ich im Morgengrauen nach Toledo auf. Widerstreitende Gefühle tobten in meiner Brust. Als die goldenen Strahlen der aufgehenden Sonne mich langsam wärmten, merkte ich, dass ich allmählich zu meinem eigenen Leben zurückkehrte. Im Sonnenlicht trat die Kargheit der felsigen kastilischen Landschaft, die sich endlos nach Süden hinzog, deutlich hervor. Bei dem Anblick musste ich an die vernarbte Haut eines gewaltigen Drachens denken, die zum Trocknen ins Freie gelegt wurde. Schwärme von Rebhühnern flatterten in dichten braunen Wolken über den Wäldern auf, um gleich darauf im Dickicht der niedrigen encinas zu verschwinden. Ein berauschender Duft lag in der Luft, als würde die Erde ihn verströmen, um alle Lebewesen in der Mancha zu wecken. Es war derselbe Duft nach Rosmarin und Majoran wie im Kräutergarten meiner Großmutter in Toledo.
Obwohl ich Miguel jetzt hasste, wünschte ich mir nicht, dass er gefasst würde, sondern dass es ihm gelänge, nach Westindien zu fliehen, und er in einem fernen Land sesshaft würde, weit weg von Kastilien und Mercedes. Besser noch wäre, wenn er auf der anderen Seite der Welt den Tod fände.
Als Toledo in der Ferne auftauchte, zügelte ich mein Pferd und blieb reglos im Sattel sitzen. Das blasse Morgenlicht tauchte die Hügel und Felder der Mancha in die rötliche Farbe von Terrakotta. Es war ein Anblick, den nur ein Maler einfangen konnte. Erst viele Jahre später, als El Greco sich bei uns niederließ, fand sich schließlich ein Künstler, der dieser Landschaft und diesem Himmel gerecht zu werden vermochte.
Die Windmühlen am Horizont, die die aus roter Erde und Kalkstein gewachsenen Berge krönten, erinnerten an erwachende Riesen; sie kreisten mit den Armen, um die morgendliche Steifheit der Glieder zu vertreiben, machten sich bereit, die Mancha den Rest des Tages zu verteidigen und allen vordringenden Horden aus der wilden, unchristlichen Welt im Süden Einhalt zu gebieten – dem Teil Spaniens, in den Miguel jetzt unterwegs war und wo er in Wirklichkeit auch hingehörte. In Kastilien würde er immer ein Fremdkörper sein, keiner von uns.
Ich hatte Miguel reichlich Geld für seine Flucht gegeben und mich damit als Ehrenmann erwiesen – auch wenn er es nicht verdiente. Ein Gedicht Fray Luis de Leóns, das ich in der Abschrift eines Manuskripts gelesen hatte und das in Madrid unter Liebhabern der Dichtung kursierte, ging mir durch den Kopf:
Mit mir selbst nur will ich sein,
genießen will ich Himmelsgaben,
allein und ganz für mich,
frei von Lieb und Eifer,
von Hass und Hoffen, Argwohn.
Da ich wusste, dass mein Glück mit Mercedes immer gefährdet sein würde, solange Miguel auf spanischem Boden weilte, gelobte ich mir: »Sollte Miguel de Cervantes jemals wieder nach Kastilien zurückkehren, schwöre ich, dass ich ihn vernichten werde.«
KAPITEL 3
LEPANTO
1575
Nachdem wir erst einmal die Pyrenäen überquert hatten, dort, wo sie zur Küste des Mittelmeers hin abflachen, war ich guten Mutes, dass ich nach Italien gelangen würde. Ich setzte meine ganze Hoffnung auf Kardinal Giulio Acquaviva, der mir eine Einladung ausgesprochen und gesagt hatte, ich solle ihn in Rom besuchen. Er war als Gesandter Papst Pius V. an den spanischen Hof gekommen, und ich hatte ihn während meines letzten Jahres am Estudio de la Villa durch Professor López de Hoyos kennengelernt. Vielleicht würde er mir aus Wertschätzung seiner Freundschaft mit meinem Professor helfen. Ich hatte, als ich das Estudio de la Villa besuchte, das große Glück, von Professor López de Hoyos gefördert zu werden. Das Schicksal hatte es wirklich sehr gut mit mir gemeint, als ich zum Schützling eines Mannes von solcher persönlicher Integrität wurde, der, so erschien es mir, alle bedeutenden Bücher gelesen hatte. Sein Glaube an meine Begabung beflügelte mich in meinem Ehrgeiz. »Strebt nach den höchsten Sternen am literarischen Firmament, Miguel, und nach nichts Geringerem!«, hatte er mehrmals gesagt.
Auf die Empfehlung meines Professors hin hatte
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