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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaime Manrique
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geworden, seine Hände zitterten ein wenig, aber er zeigte keine Angst, sondern hielt sich mit der Würde eines wahren Hidalgos . Mir war elend, ich kam mir nutzlos vor und fürchtete, dass ich ihn nie mehr zu Gesicht bekommen würde. Wieder einmal hatte ich meine Familie enttäuscht. Ich dachte an meine Eltern und welchen Schmerz es ihnen bereiten würde zu erfahren, was mit ihren Söhnen passiert war.
    »Er ist der Bruder des Krüppels.« Mamí deutete auf mich. »Für den Krüppel wird es ein gutes Lösegeld geben, er ist ein Kriegsheld und ein Schützling von Don Juan. Also sollte man für diesen hier auch ein nettes Sümmchen bekommen. Den gebe ich nicht billig her.«
    Auf meinen Bruder wurden viele Gebote abgegeben, schließlich war er der Inbegriff spanischer Männlichkeit. Als Mamí zudem erklärte, dass Rodrigo die vihuela spielte und schön singen konnte, bot ein prächtig gekleideter Händler zweihundert Gold- escudos für ihn. Nachdem der Kauf getätigt war, hörte ich ihn zu Rodrigo sagen: »Ich kaufe dich, damit du meinen Kindern Musik und das Singen beibringst. Du siehst aus, als könntest du ein guter Lehrer sein. Wenn du meine Kinder gut unterrichtest, bist du eines Tages frei.«
    Ich wusste, als Lehrer im Haus eines reichen Mannes würde mein Bruder von der Peitsche und von harter Arbeit verschont bleiben, und deshalb stand zu hoffen, dass er die Gefangenschaft überlebte. Alles war noch nicht verloren.
    Dann war die Auktion vorüber, der Beylerbey und die Händler gingen, und diejenigen, die zurückblieben – rund zwanzig Männer –, waren der Besitz Arnaut Mamís. Er hatte die auf der Sol mitfahrenden Priester behalten sowie eine Handvoll Hochgeborener, deren wohlhabende Familien das Lösegeld für sie bezahlen würden. Die anderen Männer würden zu Schwerstarbeit eingesetzt oder Ruderer auf seinen Schiffen werden.
    Wir erhielten unsere neue Sklavenkleidung – zwei derbe Stoffstücke, von denen wir eines um die Taille binden und das andere als Decke benutzen sollten – und die Auskunft, dass unser Ziel das Bagnio Beylic sei. In einer Reihe hintereinander wurden wir durchs Stadttor geführt, wo wir mit Johlen und Hohngelächter empfangen wurden – die Menschenmenge hatte auf das Ende der Auktion gewartet. So betrat ich die Stadt, die bekannt war als Zuflucht für jede Art verderbter Kreatur, die Noah von seiner Arche verbannt hatte. Wir begannen den Aufstieg über die Stufen der uralten casbah von Algier, schleppten unsere gefesselten Füße durch steile, immer schmälere Gassen. Kinder hefteten sich an unsere Fersen und schmähten uns: »Christenhunde, hier bekommt ihr Wüstensand zu fressen!« »Bildet euch nicht ein, dass euer Don Juan euch hier zu Hilfe kommt! Ihr werdet in Algier sterben!« Die dreisten Blagen bewarfen uns mit fauligen Orangen und noch dampfenden Eselsäpfeln, die ich ihnen mit Vergnügen ins Maul gestopft hätte.
    Die casbah war ein verwinkelter Irrgarten, schattig und kühl. Viele Häuser sahen aus, als wären sie unter den Römern erbaut worden, wenn nicht noch früher, in der Zeit, als die Phönizier Algier besetzt hatten. Wir schleppten uns den Berg hinauf, doch die Steinstufen schienen ständig mehr zu werden. Weiter oben waren die Straßen so schmal, dass keine zwei Menschen aneinander vorbeikamen. Stämmige burros trugen über andere Gassen schwere Lasten hinauf. Auf den Dächern der Häuser saßen Männer und riefen uns hämische Beleidigungen zu, während wir uns die schlüpfrigen Stufen hinaufquälten. Zurückhaltend beäugten uns unverschleierte maurische Frauen durch die ovalen Fenster ihrer Häuser. Wie ich später erfuhr, wurden Christen als derart niedrig angesehen, dass algerische Frauen sich in ihrer Gegenwart nicht das Gesicht zu bedecken brauchten.
    Am späten Nachmittag schließlich erreichten wir einen Platz oben am höchsten Punkt der casbah . Vor uns ragte eine rechteckige weiße Festung auf, deren hohe Ecktürme mit Wachposten bemannt waren. Wir waren am Bagnio Beylic angekommen, im ganzen Mittelmeerraum berüchtigt wegen der unbarmherzigen Lebensbedingungen, die dort herrschten. Der Bau war knapp hundert Jahre zuvor von den grausamen Barbarossa-Brüdern als Sammellager für all jene errichtet worden, die sie auf See erbeutet hatten und in Hoffnung auf Lösegeld als Geiseln festhielten. Wir wurden hineingetrieben, und sie entfernten die lange Kette, die uns miteinander verband, nicht jedoch die Fußfesseln. Um den mit Steinen gepflasterten

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