Die Leidenschaft des Cervantes
Schilderungen der großartigen Kunstwerke in Kirchen, Basiliken und Privathäusern. Nach einer Weile versickerte die Briefflut. Vielleicht hatte er verstanden, dass ich nicht antworten würde.
Zwei Jahre vergingen. Eines Abends spazierten Mercedes und ich nach dem Essen im Haus meiner Großeltern durch den blühenden Obstgarten. Eine Weile schlenderten wir schweigend nebeneinander her, bis Mercedes sich in einer Laube auf eine Steinbank niederließ. Ich setzte mich neben sie. Es war April, der Duft der Blüten hing schwer in der Luft. Die Vögel, die sich während der heißen Stunden des Tages im Dickicht verbargen, wagten sich auf der Suche nach Insekten hervor und stimmten ihr Abendlied an. Mercedes schien überwältigt von der Lieblichkeit des Moments. Ich sagte: »Mein Herz, warum sollen wir noch drei Jahre warten, bis unser Glück seinen Anfang nimmt?«
Mercedes sah in die Ferne, ihr Blick verlor sich in einem schattigen Winkel des Obstgartens. Körperlich saß sie noch neben mir, doch in Gedanken weilte sie an einem anderen Ort. Eigentlich, so hatten wir geplant, würden wir mit der Vermählung warten, bis ich mein Studium beendete. Nach dem Abschluss hoffte ich, durch die Fürsprache meiner Familie eine Stellung am Hof seiner Majestät zu bekommen. Mein Traum war, mich mit Mercedes in Madrid niederzulassen, eine Familie zu haben und mich in meiner Freizeit der Dichtung zu widmen. Ich hatte gelernt, dass Bescheidenheit eine Tugend ist, die jeden wahren Edelmann auszeichnet. Also hatte ich keine großen Träume, die waren etwas für Abenteurer und Glücksritter. Mein Streben richtete sich auf ähnliche Dinge, wie die meisten Männer in meiner Position sie zum Ziel hatten.
»Warum dieser plötzliche Sinneswandel?« Sie sah mich verwundert an. »Warum warten wir nicht, wie geplant, bis du fertig bist? Die Ehe könnte dich von deinem Studium ablenken, Luis.«
Ich gehörte nicht zu den Männern, die glaubten, Frauen seien von Natur aus geistig beschränkt. Trotz meines inneren Aufruhrs war mir bewusst, dass Mercedes’ Einwand völlig legitim war. Sie war besonnen, die Verkörperung der reinen Tugend, ja, der Reinheit selbst. Ihr Ruf war über jeden Verdacht und jeden Makel erhaben. Ich war mir sicher, dass es in ganz Spanien keine zweite Frau gab, die ihr an Sittsamkeit gleichkam. Doch jetzt hatte sie mir zum ersten Mal einen Wunsch abgeschlagen, und die Eifersucht tobte in mir wie ein wildes Tier. Welchen Grund konnte sie haben, meinen Antrag hinauszuzögern, wenn nicht den, dass sie Miguel liebte und insgeheim auf seine Rückkehr hoffte?
»Ich habe mit meinen Eltern und unseren Großeltern gesprochen, und sie haben keine Einwände. Außerdem«, fügte ich hinzu, denn ich wusste, wie gerne sie hier bei unseren Großeltern in Toledo lebte, »kannst du, wenn du magst, hier wohnen bleiben, bis ich mit dem Studium fertig bin. Ich besuche dich, wann immer es mir möglich ist.«
»Ich kann dir heute keine Antwort geben, Luis.« Mit einem Seufzen griff Mercedes nach meinen Händen und legte sie an ihre Wange. Bei der Wärme ihrer Haut überkam mich das Verlangen, sie auf den Mund zu küssen und zu kosen. Als ihr langes Haar und ihre Wimpern meine Haut streiften, musste ich das Zittern unterdrücken, das mich zu übermannen drohte. So blieb sie sitzen, und während sie sprach, spürte ich ihren Atem über meinen Handrücken streichen. »Das kommt für mich sehr überraschend. Ich hatte deinen Antrag noch nicht so bald erwartet. Ich brauche Zeit, um es mir zu überlegen, bevor ich darin einwillige, unsere Pläne zu ändern.«
In dem Moment bedauerte ich, Miguel nicht das Herz mit meinem Schwert durchbohrt zu haben an dem Tag, als ich ihn in Mercedes’ Räumen entdeckte. Ich entzog ihr meine Hände, stand auf und ging allein ins Haus zurück.
Auch in Alcalá traf die freudige Botschaft ein, dass unsere Truppen die Türken bei Lepanto bezwungen hatten. Wie immer nach großen Schlachten, die in fernen Länden geschlagen worden waren, dauerte es Monate, ehe Flugblätter mit den Namen der Überlebenden gedruckt und an die Mauern von Regierungsgebäuden geheftet wurden. Sobald ich von einem Besucher bei mir zu Hause erfuhr, dass die Flugblätter angeschlagen waren, eilte ich hinaus und las die Namen mit gespannter Aufmerksamkeit. Der Name Rodrigo Cervantes’ stand unter den Überlebenden, doch Miguel wurde nicht erwähnt. Die Türken hatten keine Gefangenen gemacht. Sollte er womöglich tot sein?
Als ich einige Tage
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