Die leise Stimme des Todes (German Edition)
dass ihre Beziehung für beide keinen Sinn machte und dass sie ohne einander besser dran wären, hatte er sie ignoriert, hatte getan, als wären all ihre Kritikpunkte belanglos und als könne man getrost so weitermachen wie bisher. Er war glücklich, also war es selbstverständlich, dass sie auch glücklich war.
Schließlich hatte Katherine sich von ihm getrennt, aber Marcel wollte nicht loslassen, und so hatte eine zermürbende Zeit begonnen, in der Marcel zwischen Eifersuchtsanfällen und dramatischen Selbstvorwürfen schwankte. Die letzten Wochen hatte er sich zurückgezogen, sie weder angerufen noch ihr einen seiner vor Selbstmitleid triefenden Briefe geschrieben. Katherine hatte gehofft, dass er sich endlich mit der Tatsache abgefunden hatte, dass es vorbei war, aber anscheinend hatte er nur Atem für den nächsten Angriff geschöpft.
„Ich verstehe es nicht“, klagte Marcel.
Katherine schüttelte traurig den Kopf.
„Rede mit mir!“
„Nein, Marcel. Ich habe lange genug versucht, mit dir darüber zu sprechen.“
„So kannst du mich nicht behandeln.“
„Wie behandele ich dich denn?“, sagte Katherine höhnisch. „Alles, was geschieht, fügst du dir selbst zu. Ich habe damit nichts zu tun.“
„Du kannst mich nicht einfach abschieben, wenn du keine Lust mehr hast. Eine Beziehung beinhaltet Verantwortung.“
Katherines Gesicht verzerrte sich zornig. „Ich habe keine Verantwortung für dich, und wir haben keine Beziehung. Und jetzt lass mich bitte in Ruhe!“
Wütend schlug sie die Tür zu. Sie lehnte sich erschöpft gegen die Wand, bis seine Schritte leiser wurden.
Die Schwimmzüge vor der Wende waren für Mark immer eine zusätzliche Freude, weil er wusste, gleich würde er den Beckenrand fassen, zupacken und sich kräftig abstoßen. Er würde es genießen, wie sein Körper durch das Wasser glitt, und ein wenig die schon müden Arme schonen können.
Kurz vor dem Beckenrand - Mark hatte die Arme erwartungsvoll ausgestreckt, die Augen noch unter Wasser - zuckte plötzlich ein höllischer Schmerz durch seinen Hinterkopf.
Die Welt zerfloss. Keine Form war mehr zu erkennen. Luft entwich seinen Lungen, hinterließ winzige, sprudelnde Bläschen, die von ihm fortdrängten. Seine Augen rollten ziellos in den Höhlen umher, bis schließlich die Lider sich schützend über sie legten.
Was ist passiert?, war der letzte Gedanke. Er spürte nicht, wie das kalte Wasser in seine Lungen drang und er spürte nicht den Grund, als er auf den Boden des Beckens sank.
Sebastian König war acht Jahre alt und seiner eigenen Meinung nach ein Feigling, aber heute beschloss er, dass es damit endgültig vorbei war. Er würde vom Drei-Meter-Brett springen. Wenn er dabei starb, war er wenigstens ein Held und sein älterer Bruder Stefan würde nie wieder über ihn spotten können. Das war die Sache wert. Auf jeden Fall!
Sebastian schlich zögerlich zu den Sprungbrettern. Obwohl er schon oft vor dem Betonturm mit der Leiter aus glänzendem Metall gestanden hatte, kam ihm der Turm heute höher vor. Wenn er den Kopf in den Nacken legte, schien es, als befände sich das schmale Brett direkt unter dem Dach des Schwimmbads und als bräuchte man einen Fallschirm, um einen Sprung aus dieser Höhe zu überleben.
Seine Beine fühlten sich wie Gummischlangen an und seine Zähne klapperten so stark aufeinander, dass es bloß eine Frage der Zeit war, bis sie ihm aus dem Mund flogen.
All die mutigen Vorsätze zerstoben. Sebastian war drauf und dran, sein großartiges Vorhaben abzublasen, aber da hörte er die höhnischen Rufe seines Bruders.
„Das machst du nie! Du bist zu feige!“
Wenn er jetzt nicht die Leiter hochstieg und sich in die Tiefe stürzte, konnte sich Sebastian darauf gefasst machen, eine ganze Woche lang schmählichste Beleidigungen ertragen zu müssen. Er holte tief Luft, griff nach dem Geländer und stieg langsam die Leiter hinauf.
Von oben sah alles noch schlimmer aus. Von hier oben war das Becken winzig, unmöglich, es beim Sprung zu treffen. Er würde mit zerschmetterten Gliedern auf den Kacheln enden.
„Springst du jetzt, oder was?“, drang es von unten herauf.
Sebastian raffte seinen ganzen Mut zusammen und schritt, so würdevoll es ging, zum wippenden Ende des Brettes. Er wollte sich gerade in die Tiefe stürzen, als er den dunklen Fleck am Grund des Beckens entdeckte. Zuerst begriff er nicht, aber dann erkannte Sebastian, dass da ein Mann lag. Ein Mann, der nicht schwamm und sich nicht
Weitere Kostenlose Bücher