Die leise Stimme des Todes (German Edition)
verkündete, dass der Gesprächsteilnehmer vorübergehend nicht erreichbar sei. Es war zum Wahnsinnigwerden. Sanden hatte doch tatsächlich sein Handy ausgeschaltet. Unglaublich.
Während Gaster wartete, kreisten seine Gedanken um die Ereignisse, die zu diesem Schlamassel geführt hatten. Jahrelang war alles gut gegangen, war alles perfekt gelaufen. Der ursprüngliche Plan hatte sich als absolut narrensicher erwiesen und Gaster selbst war immer wieder erstaunt, wie einfach es war, mit Organen Millionen zu scheffeln und dabei alles vollkommen legal aussehen zu lassen.
In regelmäßigen Abständen drangen Computerhacker in die Datenbank von EUROTRANSPLANT ein und luden die Daten der auf eine Transplantation wartenden Patienten herunter. Dabei wurde kein Hacker mehr als ein Mal eingesetzt und wenn er sich als unzuverlässig erwies, das heißt, wenn man befürchten musste, er sei nicht verschwiegen genug, sorgten Sanden und Koszieky dafür, dass er sein Wissen mit ins Grab nahm.
Hacker bewegten sich am Rande der Legalität, in einer Welt, die aus über einen Bildschirm huschenden Zahlen bestand; meist hatten sie nur ein Minimum an sozialen Kontakten, und so stellte niemand Fragen, wenn sie verschwanden oder einen Unfall erlitten.
Die Daten von EUROTRANSPLANT zu besorgen, war aber nur ein notwendiger Schritt von vielen. Lag ein Organwunsch eines von Gasters Kunden vor, musste ein geeigneter Spender gefunden werden. Dabei hatte sich Rothaus’ Tätigkeit in der Zentrale des Deutschen Roten Kreuzes als hilfreich erwiesen. Rothaus veranlasste aufgrund vielversprechender Blutgruppenanalysen einen heimlichen Histokompatibilitätstest, mit dem man exakt feststellen konnte, ob die entsprechende Person als Organspender in Frage kam. Rothaus wurde für diese Dienste hoch bezahlt, sehr hoch und er hatte sich als zuverlässig erwiesen. Seine Gier nach immer mehr Geld war die Garantie dafür, dass aus seiner Richtung keine Gefahr drohte, und falls er eines Tages zu gierig wurde, konnte sich Sanden darum kümmern.
Waren die Daten eines möglichen Spenders ausgewertet, sorgten Gaster und seine Gehilfen dafür, dass die eigentlich von EUROTRANSPLANT vorgesehenen Organempfänger verstarben und dadurch einer der Patienten von ORGANIC in der Warteliste nach oben rückte. Nun musste nur noch der Organspender einem Unfall zum Opfer fallen, und alles lief automatisch ab. Der Regionalkoordinator für Organspenden informierte EUROTRANSPLANT, ein offizielles Team nahm einen Histokompatibilitätstest vor, dessen Auswertung an Leiden übermittelt wurde, die wiederum in ihrer Datenbank nach einem geeigneten Empfänger suchten und prompt auf einen Patienten von ORGANIC stießen. Dass der verunglückte Spender in Wirklichkeit meist niemals einen Organsspenderausweis ausgefüllt hatte, spielte dabei keine Rolle, denn Koszieky und Sanden sorgten dafür, dass ein solcher bei dem Unfallopfer gefunden wurde.
Die Sache mit Mark Keller war eine Ausnahme gewesen. Rothaus hatte ihn überreden können, einen Organspenderausweis auszufüllen, das gelang ihm bei anderen Blutspendern nur selten. Die meisten Menschen schauderte es bei dem Gedanken, dass man sie nach ihrem Tod aufschneiden und regelrecht ausweiden würde. Aber, wie gesagt, es stellte kein Hindernis dar, wenn das Opfer keinen Organspenderausweis besaß, den konnte man ihnen zustecken, und da keine öffentliche Stelle die Daten von möglichen Spendern erfasste, gab es auch keinen Nachweis dafür, ob jemand tatsächlich ein Organspender war oder nicht.
Die ganze Sache war über Jahre hinweg perfekt gelaufen. Gaster übertrieb es nicht und besorgte sich auf diese Weise höchstens zwei bis drei Organe pro Jahr, der Rest lief offiziell und vollkommen korrekt ab. Nur die wirklich Reichen, die nicht auf ein Organ warten konnten oder wollten und in der Lage waren, dafür Millionen zu bezahlen, wurden auf diese Art und Weise befriedigt. Es war sprichwörtlich ein goldenes Füllhorn gewesen. Bis Mark Keller auftauchte und misstrauisch wurde. Sandens Versagen hatte ihn auf die richtige Spur gebracht, und nun bedrohten ein kleiner Computerangestellter und eine übereifrige Ärztin das ganze ausgeklügelte System.
Während Gaster über alles nachdachte und darauf wartete, dass das Telefon endlich klingelte, wurde ihm klar: Es war an der Zeit auszusteigen und zu verschwinden. Egal, wie die Sache mit Keller und der Tallet ausging. Sie hatten zuviel Aufmerksamkeit erregt. Jetzt war es nur noch wichtig, alle
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