Die leise Stimme des Todes (German Edition)
legte sie Mark Keller eine Blutdruckmanschette um den Oberarm. Das Geräusch, als sie Luft aus dem Gerät abließ, erfüllte den ganzen Raum.
„Sieht ganz gut aus“, murmelte Katherine im Selbstgespräch. Sanden musste sich anstrengen, damit er die Worte verstand. „Er erholt sich schnell. Der Herzschlag hat sich beruhigt und sein Blutdruck stabilisiert sich.“
Sie nahm die Manschette ab und ließ sie ebenso wie das Stethoskop in der Tasche verschwinden. Dann griff sie nach einer seltsam gebogenen Schere, mit der sie Kellers Hosenbein aufschnitt. Die Schere wurde beiseite gelegt, dann nahm Katherine einen Plastikbeutel aus ihrer Tasche und riss ihn mit den Zähnen auf. Sie zog mehrere Lagen sterile Leinentücher heraus, die sie mit einer klaren Reinigungsflüssigkeit aus einer kleinen Glasflasche tränkte. Dann begann sie, vorsichtig die Wunde zu reinigen.
Sanden kam nicht umhin, ihre professionelle Art zu bewundern. Es gab kein Zögern, jeder Handgriff saß, und sie war dabei vollkommen ruhig.
„Sie müssen mir helfen, ihn umzudrehen“, sagte Katherine, als die Wunde sauber war. Ein kreisrundes, nur ein Zentimeter großes Loch war übriggeblieben, das vollkommen deplaziert auf Kellers nacktem Oberschenkel wirkte. Die Blutung hatte aufgehört, und Sanden konnte die Tiefe des Einschusses sehen.
„Was war das für ein Kaliber?“, wurde er gefragt.
„Eine Achtunddreißiger.“
„Gott sei Dank“, seufzte Katherine.
„Warum?“
„Dann hat die Kugel wahrscheinlich den Oberschenkel durchschlagen. Eine 22er wäre im Muskel steckengeblieben, und er hätte sofort operiert werden müssen.“
Sanden kniete sich neben sie.
„Sie nehmen die Schultern, ich die Beine. Wenn ich ‚jetzt’ sage, drehen wir ihn langsam um – aber vorsichtig!“, wies ihn Katherine an.
Als Mark auf dem Bauch lag, konnte Sanden sehen, dass es sich tatsächlich um einen Durchschuss handelte. Ein weiteres Loch verunstaltete die Rückseite von Kellers Oberschenkel. Er würde zwei hübsche Narben behalten.
Katherine reinigte auch diese Verletzung, wobei sie besonderen Wert darauf legte, den Schusskanal zu säubern, den sie mit einem in Reinigungsflüssigkeit getauchten Wattestab behandelte. Schließlich schnitt sie mit der Schere das Hosenbein ganz ab und legte mit geübten Handgriffen einen festen Verband an.
„Tragen Sie ihn zum Bett“, verlangte Katherine, als sie fertig war.
Sanden und Koszieky hoben Mark hoch, als hätte er das Gewicht eines Kleinkindes, und ließen ihn auf die Matratze sinken. Sie traten wieder zurück, und Katherine legte erneut die Blutdruckmanschette an, als Mark die Augen aufschlug.
„Was ist passiert?“, krächzte er.
„Sie sind ohnmächtig geworden.“
„Wo ist Sanden?“
„Er ist noch da.“
Mark hob den Kopf, ließ seinen Blick durchs Zimmer wandern, bis er Koszieky und Sanden entdeckte.
„Scheiße!“, war sein einziger Kommentar. Er wollte sich aufrichten, aber Katherine legte ihm die Hand auf die Brust und hielt ihn zurück.
„Bleiben Sie liegen.“
Sanden kam zum Bett herüber und sah auf Keller herab. „Und, wie geht es?“
„Verpiss dich!“, zischte Mark.
Sanden lachte leise. „Es geht ihm besser. Können wir jetzt über den Plan reden?“
Sanden sprach zehn Minuten lang. Schließlich lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Wand und sah Keller abwartend an.
„Funktioniert vielleicht“, sagte Mark schließlich.
„Funktioniert ganz sicher. Ich habe es geschafft, in Gasters Büro zu kommen, dann wirst du es auch schaffen.“
„Okay. Ich werde es versuchen.“
„Geh zum Auto und hol den schwarzen Aktenkoffer, der auf der Rückbank liegt“, wandte sich Sanden an Koszieky. Der Russe drehte sich wortlos um und polterte die Treppe hinunter.
„Darf ich auch mal etwas sagen“, machte sich Katherine bemerkbar. Beide Köpfe wandten sich in ihre Richtung. „Keller ist zu schwer verletzt. Im Augenblick hat die Wunde aufgehört zu bluten, aber unter Belastung kann sie jederzeit wieder aufbrechen. Dann klappt er zusammen wie ein Taschenmesser.“
„Haben Sie irgendein Medikament, um seinen Kreislauf zu stabilisieren?“, fragte Sanden.
„Ja, aber -“
„Geben Sie es ihm!“
Katherine blickte zu Mark hinüber, der ihr zunickte. Sie zog ihre Arzttasche heran, entnahm ihr eine Glasampulle und eine Einmalspritze. Während sie die klare Flüssigkeit aufzog, kam es ihr in den Sinn, dass sie gerade gegen sämtliche ethischen Regeln ihres Berufsstandes verstieß.
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