Die Lennox-Falle - Roman
stemmte dann beide Absätze auf den Boden und kippte auf seinem Küchenstuhl vor und zurück wie ein Reiter. »Er weiß zuviel über uns. Er hat unser ehemaliges Hauptquartier in den Tauern infiltriert und dort Dinge gesehen und erfahren, die er
nie hätte sehen dürfen. Aber es ist jetzt nur noch eine Frage von ein oder zwei Stunden, dann wird er aufhören, unseren Vorgesetzten lästig zu sein. Wir werden die uns erteilten Befehle erfüllen, inklusive eines Fangschusses in die linke Schädelhälfte. Das hat nichts mit Hypothesen und nichts mit Thrillern zu tun. Wir leben in der echten Welt, in der Wirklichkeit, nicht in einer Scheinwelt wie Sie. Und Sie können nichts tun, um uns aufzuhalten.«
»Warum ein Schuß in die linke Schädelhälfte?« fragte Karin de Vries.
»Darüber haben wir uns auch den Kopf zerbrochen, weil man uns den Grund dafür nämlich nicht genannt hat. Aber man muß ja schließlich nicht jeden -« Der Neonazi unterbrach sich mitten im Satz. Aus einem der Nebenzimmer war ein kurzes Störgeräusch zu hören, gleich darauf sagte eine Männerstimme halblaut etwas in deutscher Sprache. Dann verstummte die Stimme wieder, und gleich darauf erschien ein junger Mann in der Tür, jünger als der, der Karin verhörte, aber ebenso schlank und muskulös. »Das war ein Funkgespräch aus Berlin«, sagte er. »Die Behörden in Paris tappen im Dunkeln, sie haben nichts ausfindig machen können, wir sollen deshalb planmäßig weitermachen.«
»Das war ein völlig überflüssiges Gespräch. Wie sollten sie irgend etwas finden?«
»Nun, es gab immerhin die Leichen vor dem Hotel Normandie -«
»Und ein Fahrzeug des Deuxième auf dem Grund der Seine, na und?«
»Sie haben gesagt, wir sollen unbedingt darauf achten, daß alles - nun du weißt schon, was ich meine - das Château de Vincennes, nördlich des Bois.«
»Ja, ich weiß, was du meinst, und auch, was Berlin meint. Sonst noch was?«
»In einer Stunde wird es hell werden.«
»Helmut ist auf seinem Posten?«
»Ja, und er weiß, daß er dort bleiben soll.«
»Sag ihm, er soll in zwanzig Minuten anrufen.«
»Dann wird es aber immer noch dunkel sein.«
»Das ist mir klar. Es ist aber doch besser, wenn wir an Ort und Stelle erkunden können, oder?«
»Du hast wie immer recht.«
»Das weiß ich auch. Geh jetzt.« Der zweite Neonazi verschwand, und der Mann wandte sich wieder Karin zu. »Ich muß Ihnen jetzt leider den Mund zukleben, Frau de Vries, und zwar recht gründlich. Dann werde ich Ihre Fesseln lösen, und Sie werden uns begleiten.«
Das Treffen zwischen Lennox und Witkowski fand etwa achtzig Meter östlich von Rue Lacoste 23 in einer schmalen, finsteren Seitengasse statt. »Guter Platz«, sagte Drew.
»Sonst gab es keinen. Übrigens, die Wohnung, die wir suchen, ist im fünften Stock an der Westecke.«
»Wie haben Sie das rausgekriegt?«
»Dafür müssen Sie Moreau danken. Der will Ihnen zwar immer noch den Kopf abreißen, hat aber Ihr Paket erhalten.«
»König?«
»Richtig. Das Komische ist, die Sûreté hatte den Priester in ihren Akten.«
»Als Neonazi?«
»Nein, wegen seiner besonderen Neigung für Chorknaben. Es liegen bereits fünf anonyme Anzeigen vor.«
»Und was ist mit der Wohnung?«
»Claude hatte den Besitzer des Gebäudes feststellen lassen, der Rest war ein Kinderspiel. Schließlich will sich keiner mit einer Behörde anlegen, die einem die Steuer und das Gesundheitsamt auf den Hals hetzen kann.«
»Stanley, Sie sind ein Genie.«
»Nein, das bin ich nicht. Moreau ist eines. Und der Deal, den ich mit ihm geschlossen habe, sieht vor, daß Sie sich bei seinen Männern entschuldigen, ihnen teure Geschenke kaufen und sie zu einem sehr, sehr teuren Abendessen im Tour d’Argent einladen. Mit Familie.«
»Das kostet mich zwei Monatsgehälter!«
»Ich habe in Ihrem Namen angenommen … So, und jetzt wollen wir uns einmal überlegen, wie wir das hier ohne Verstärkung anpacken.«
»Zuerst gehen wir hinein und dann die Treppe hinauf«, erwiderte Lennox. »Sehr leise und vorsichtig.«
»Die haben mit Sicherheit im Treppenhaus Wachen aufgestellt. Wir nehmen besser den Aufzug. Wir werden so tun, als wären wir betrunken und irgendwas wie ›Auprès de Ma Blonde‹ singen, laut, aber nicht zu laut.«
»Nicht übel, Stosh.«
»Vielen Dank. Ich war schließlich schon in diesem Gewerbe tätig, als Sie noch die Windeln naß gemacht haben. Wir fahren mit dem Aufzug ins sechste oder siebte Stockwerk und gehen dann nach unten.
Weitere Kostenlose Bücher