Die Leopardin
nur an ihrem eigenen Leben
interessiert, aber das dürften ihr die Launen ihres Gatten im
Augenblick recht schwer machen.«
Renard stand auf und
legte sich seinen eigenen Umhang über die Schulter. »Ich soll tolerant
sein?« Er setzte jenes weise Lächeln auf, das er von seinem GroÃvater,
König Henry, geerbt hatte. »Gut, wenigstens heute abend werde ich
freundlich zu Ranulf sein.« Er zog sie an sich und küÃte ihren Mund,
dann ihren Hals unterhalb der funkelnden goldgefaÃten Granaten.
»Stephen hat die Caermoel-Urkunde bestätigt, und Ranulf kann zum Teufel
gehen.«
Eleanor erwiderte diese Umarmung, empfand aber nicht nur Freude, sondern auch Angst. »Weià er es schon?«
»Noch
nicht.« Er führte sie zur Tür. »Und wenn er es erfährt, wird die
Festung so stark sein, daà er sich die Zähne ausbrechen würde, wenn er
reinzubeiÃen versucht.«
Die Weihnachtsfeier
näherte sich dem Ende. Der Eberkopf war ebenso serviert worden wie die
gefüllten Schwäne und Pfauen und ein ganzer Tümmler, der auf einer
riesigen Platte mitten in gleiÃendem, mit Austern garniertem Fischrogen
geschwommen hatte. Nun knabberten die Leute träge an SüÃigkeiten â
an Nüssen und Früchten, kleinen Törtchen, Honigkuchen und Konfekt.
Hunde verschlangen die Abfälle unter den Tischen, und dazwischen
entdeckten sie so manchen Gast, der die Macht des Weines unterschätzt
hatte, oder diskret unter benachbarte Tuniken und Röcke geschobene
Hände. In einer Ecke übergab sich jemand, ein anderer furzte
laut â die üblichen Amüsements eines ausgedehnten königlichen
Festmahls. Lehnsmänner und Diener eilten unauffällig umher, entfernten
schmutziges Geschirr, füllten die Becher nach und brachten kleine
Waschschüsseln mit Handtüchern.
Während der Mahlzeit
hatte man musikalische Darbietungen genossen. Zwei Frauen, dem Aussehen
nach Mutter und Tochter, sangen hübsche französische Liebeslieder, wozu
sie sich selbst auf Lauten begleiteten. Ein Dudelsackspieler gab derbe
Soldatenballaden und ein vielbeklatschtes obszönes Heldengedicht von
der schottischen Grenze zum besten. Eleanor beobachtete Gaukler,
Jongleure und Akrobaten, während Renard mit Robert von Leicester und
dessen Zwillingsbruder diskutierte.
Amicia, Leicesters
Frau, verwickelte Eleanor in ein sporadisches Gespräch. Sie war dick
und faul, und sogar das Sprechen schien sie zu ermüden. Aber die Augen
unter den schweren Lidern wirkten hellwach. Und es waren nicht die
einzigen, die ständig umherschweiften. Mehrmals begegnete Eleanor dem
Blick Matules, die ihr verschwörerisch zulächelte, was sie etwas
zögernd erwiderte.
Mit Argusaugen verfolgte die Königin
das festliche Geschehen, lauerte auf Anzeichen falscher Freundlichkeit
oder übertriebener Schmeicheleien, die auf bevorstehende verräterische
Aktivitäten hinweisen mochten.
Entschlossen
konzentrierte sich Eleanor auf die Kunstgenüsse. Die Akrobaten traten
mit einem hübschen schwarzweiÃen Hündchen im Hofnarrenkostüm auf. Sie
bedauerte es, als sie ihren Auftritt beendeten. Hektisch wedelte das
Tier mit dem Stummelschwänzchen und kläffte aufgeregt. Zwei andere
Mitglieder der Gauklertruppe erschienen und verneigten sich vor der
königlichen Tafel â ein schlanker junger Mann, an dessen Hals eine
Trommel hing, und eine Frau in einem weiten schwarzen Umhang, der so
aussah, als wäre er einem Benediktinermönch entwendet worden. Ihr
offenes weizenblondes Haar â stark gekraust, nachdem sie es zu
festen kleinen Zöpfen geflochten hatte â wurde von einem mit
Goldmünzen behangenen Band aus der Stirn gehalten. Die vollen Lippen
leuchteten blutrot.
»Eine Tänzerin aus dem Osten«,
wisperte Amicia in Eleanors Ohr. »Vom Hof des Fürsten Raymond in
Antiochien, falls man das glauben will. Wahrscheinlich ist sie nie in
ihrem ganzen Leben über den Fischereihafen von Billingsgate
hinausgekommen.« Sie gähnte in zynischer Langeweile.
Eleanors
Magen krampfte sich zusammen. Eine Tänzerin aus Antiochien hatte ihr
schon viel zuviel Kummer gemacht. Sie warf einen Blick auf Renard, der
sich immer noch mit Leicester und Meulan unterhielt. Lebhaft
gestikulierten seine schmalen Finger, um seinen Worten Nachdruck zu
verleihen. Sie wollte seinen Blick auffangen und Trost suchen, aber da
beugte sich Leicester vor, und
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