Die Leopardin
Ich ersuche Euch nur, ihn nicht herauszufordern.«
Verächtlich seufzte Renard. »Ich provoziere ihn doch schon, wenn ich nur Atem hole.«
»Dann hört eben zu atmen auf«, schlug Meulan leichthin vor, und Renard warf ihm ein Handtuch an den Kopf.
»Oder
atmet nur, wenn er nicht hinschaut.« Leicester begegnete
verständnisvoll Renards Blick. Dunkelgraue und hellgraue Augen, zwei
Schattierungen von derselben Farbe. Zwischen ihnen ballte sich der
Dampf, SchweiÃtropfen glänzten auf ihren Körpern.
Leicester
reichte ihm die Karaffe, und Renard trank den Wein, der warm und schal
geworden war. Dann gab er Stephen den Krug, der sie beide
beobachtete â offenbar unsicher, ob er in Leicesters Bemerkung
mehr als galligen Humor hineingeheimnissen sollte.
Prompt
begann Leicester wieder einen Witz zu erzählen, einen besonderen, den
er sich für einen solchen Moment aufgehoben hatte. Der König
verschluckte sich am Wein, und über seinem Hustenanfall vergaà er alles
andere.
Eleanor hieà ihren unerwarteten Gast
willkommen und bemühte sich, weder erstaunt noch argwöhnisch zu wirken,
als sie Matille, die Gräfin von Chester, aus der Kälte zur Wärme des
Kaminfeuers führte. Alys wurde beauftragt, Glühwein zu bringen. Dann
nahm Eleanor den Nähkorb vom Stuhl neben ihrem eigenen und bat die
Besucherin Platz zu nehmen.
Die Gräfin dankte ihr und
folgte ihrer Aufforderung, weigerte sich aber, ihren Umhang abzulegen.
»Es ist so kalt. Ich glaube, es wird bald schneien.« Ihr Blick wanderte
durch den kleinen gemütlichen Raum. »Sicher ist Euer Mann mit den
anderen zur Jagd gegangen.« Sie war Renards Kusine, eine Enkelin des
alten Königs. Ihr Haar leuchtete in hübschem Buchenrot, und sie besaÃ
die gleichen dunkelgrauen Augen wie ihr Vetter, die an Gewitterwolken
erinnerten. Auch die eigenwillige Mundpartie bezeugte das gemeinsame,
königliche normannische Erbe.
»Ja«, bestätigte Eleanor.
»Wolltet Ihr ihn sehen?« Eine alberne Frage, dachte sie, noch während
sie sprach. Hätte Matille ihn sehen wollen, wäre sie zu einer anderen
Zeit gekommen.
»Nur um ihm zur Hochzeit zu
gratulieren.« Die Gräfin lächelte. »Wahrscheinlich kann ich Ranulf am
Hof heute abend lange genug entfliehen, um das nachzuholen. Und Euch
will ich schon jetzt beglückwünschen.« Sie neigte sich herüber und
küÃte die Wange ihrer Gastgeberin.
WuÃte sie, daà die
Hochzeit Ranulfs wegen beinahe nicht stattgefunden hatte und Harry
schwer verletzt worden war? Chester mag es ihr verschwiegen haben,
überlegte Eleanor, doch die Frauen finden andere Mittel und Wege, um
Neuigkeiten zu erfahren. Jedenfalls war das Thema zu heikel, um nach so
kurzer Bekanntschaft angeschnitten zu werden.
Alys
servierte den Glühwein, während sich die Gräfin zurücklehnte und ihre
Röcke vor dem Kaminfeuer ausbreitete. »Nur gut, daà sie bei der Jagd
sind â¦Â«, fuhr sie fort. »Da können sie ihre Energien loswerden,
die sie ansonsten bei heftigen Streitereien abreagieren würden. Und ich
will gewià nicht den ganzen Tag mit Ranulf Zusammensein. Er schimpft
und flucht und führt sich auf wie ein Stier, der sich auf dem
Marktplatz vom Zügel losgerissen hat â¦Â« Forschend musterte sie
Eleanor. »Und Renard ist um keinen Deut besser. Wenn er Langeweile hat,
benimmt er sich manchmal wie der Satan persönlich. Als Kinder spielten
wir oft miteinander. Manchmal gebärdete er sich wie ein Wilder und
trieb Judith fast zur Verzweiflung. Kein Wunder, daà Ranulf und Renard
sich dauernd in die Haare geraten â¦Â«
»Das liegt
nicht nur an einem Zusammenprall lebhafter Temperamente«, erwiderte
Eleanor und blickte auf ihre im Schoà gefalteten Hände hinab. »Renard
war nie darauf aus, sich mit Eurem Mann zu verfeinden. Warum sollte er
auch? Von Rechts wegen müÃten Ravenstow und Chester verbündet sein, so
wie in früheren Zeiten.«
»Der Meinung bin ich
auch â aber wenn Ihr behauptet, Renard habe sich meinen Mann
niemals absichtlich zum Feind gemacht, muà ich widersprechen.« Matille
stellte ihren Weinbecher auf einen kleinen Spieltisch. »So, wie Ranulf
die Dinge sieht, hat Renard ihn mehrmals in der Ãffentlichkeit
gedemütigt.«
»Er tat nie den ersten Schritt.«
»Das
gestehe ich Euch zu. Meistens geht mein Mann zum Angriff über,
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