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Die Leopardin

Titel: Die Leopardin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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mich noch politisch betätigt habe, kam es immer wieder vor, dass die Leute mich fragten: ›Wie kannst du mit einem solchen Oberklassenakzent Sozialist sein?‹ Denen hab ich dann gesagt, dass man mich in der Schule versohlt hat, wenn ich die Hs verschluckt habe. Das hat diese Besserwisser zum Schweigen gebracht.«
    Auf einer Allee fuhr Percy Thwaite rechts ran und hielt. Paul blickte hinaus und sah ein Schloss wie aus einem Märchenbuch vor sich, mit Erkern und Zinnen und einem großen Turm. »Das soll ein Gefängnis sein?«, fragte er ungläubig.
    Thwaite machte eine hilflose Geste. »Viktorianische Architektur.« Flick stand wartend am Eingang. Sie trug ihre FANY-Uniform: eine Jacke mit vier Taschen, einen Hosenrock und ein Hütchen mit aufgebogener Krempe. Der Ledergürtel war straff um ihre schmale Taille gezogen und betonte ihre kleine Figur. Unter dem Hütchen quollen üppige blonde Locken hervor. Ihr Anblick raubte Paul für einen Moment den Atem. »So ein hübsches Mädchen!«, sagte er.
    »Sie ist verheiratet«, bemerkte Percy Thwaite frostig.
    Aha, das war eine Warnung, dachte Paul amüsiert und fragte: »Mit wem?«
    Thwaite zögerte. Dann sagte er: »Sie müssen es sowieso wissen, denke ich. Michel Clairet ist in der Resistance. Er ist der Chef der Bollinger-Gruppe.«
    »Okay, danke.« Chancellor stieg aus, und Thwaite fuhr weiter.
    Ob sie sauer sein wird, weil Percy und ich in den Akten so wenige Kandidatinnen aufgetrieben haben?, dachte Paul. Er war Flick bisher erst zweimal begegnet, und bei beiden Gelegenheiten hatte sie ihn angebrüllt.
    Diesmal jedoch schien sie guter Laune zu sein und sagte, nachdem er ihr von Maude erzählt hatte: »Dann sind wir jetzt also zu dritt, mich eingeschlossen. Das heißt, wir haben schon die halbe Miete, und es ist gerade mal zwei Uhr mittags.«
    Paul nickte. Ja, so konnte man es auch sehen. Er machte sich Sorgen, aber es hätte nichts gebracht, wenn er sie ausgesprochen hätte.
    Der Zugang zum Holloway-Gefängnis führte durch ein mittelalterliches Pförtnerhaus mit schießschartenschmalen Fenstern. »Wenn schon, denn schon«, sagte Paul. »Warum bauen sie nicht gleich noch ein Fallgitter und eine Zugbrücke ein?« An das Pförtnerhäuschen schloss sich ein kleiner Hof an, in dem ein paar Frauen in dunklen Kleidern Gemüse anbauten. Es gab kaum einen Fleck Ödland in London, auf dem kein Gemüse angebaut wurde.
    Vor ihnen ragte nun der Haupttrakt des Gefängnisses auf. Der Eingang wurde von steinernen Ungeheuern bewacht, zwei gewaltigen geflügelten Greifen, die Schlüssel und Handschellen in ihren Fängen hielten. Das Haupthaus war von zwei vierstöckigen Gebäuden flankiert, was an den jeweils vier langen Reihen schmaler, spitzbogiger Fenster abzulesen war. »Beeindruckend!«, sagte Paul.
    »Hier sind damals die Suffragetten in ihren Hungerstreik getreten«, erläuterte Flick. »Percys Frau hat man hier zwangsernährt.«
    »Mein Gott!«
    Sie gingen hinein. Die Luft roch penetrant nach Bleiche, als hofften die Verantwortlichen, mithilfe von Desinfektionsmitteln die Bakterien der Kriminalität ausrotten zu können. Paul und Flick wurden in das Büro der Stellvertretenden Gefängnisdirektorin Miss Lindleigh geführt, einer fassförmigen Person mit einem strengen, dicken Gesicht. »Ich habe keine Ahnung, was Sie veranlasst, die Rowland besuchen zu wollen«, sagte sie und fügte mit mürrischem Unterton hinzu: »Und offenbar soll ich es auch nicht erfahren.«
    Flicks Miene verzog sich zu einem verächtlichen Grinsen. Paul Chancellor, der erkannte, dass sie drauf und dran war, eine höhnische Bemerkung zu machen, kam ihr zuvor. »Ich entschuldige mich für unsere Geheimniskrämerei«, sagte er mit seinem charmantesten Lächeln. »Aber wir halten uns lediglich an unsere Befehle.« »Nun, das müssen wir wohl alle«, erwiderte Miss Lindleigh, schon ein wenig besänftigt. »Dennoch muss ich Sie warnen: Die Rowland ist gewalttätig.«
    »Sie ist eine Mörderin, wenn ich recht informiert bin.«
    »Ja. Sie gehört eigentlich an den Galgen, aber unsere Gerichte sind heutzutage ja immer viel zu milde.«
    »Gewiss«, sagte Chancellor, obwohl es seiner persönlichen Meinung zuwiderlief.
    »Sie kam ursprünglich wegen Volltrunkenheit hierher, doch dann hat sie beim Hofgang im Streit eine andere Gefangene umgebracht. Sie wartet jetzt auf ihren Mordprozess.«
    »Ein harter Brocken«, sagte Flick, deren Interesse sichtlich gewachsen war.
    »Ja, Major. Auf den ersten Blick wirkt sie

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