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Die Leopardin

Titel: Die Leopardin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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‘n Stück Draht so zuschleifen, dasses wie ‘n Stilett funktioniert. Oder du drehst dir aus Fäden eine Garotte. Von den Wärtern hier wird sich nie einer nich’ einmischen, wenn zwei Gefangene aufeinander losgehn – im Gegenteil, die ha’m ihren Spaß dran, wenn wir uns gegenseitig in Stücke reißen. Deshalb haben ja so viele von uns hier drinnen Narben.«
    Paul Chancellor hörte es mit Schrecken. Er hatte noch nie in seinem Leben mit Gefängnisinsassen zu tun gehabt. Rubys bildhafte Darstellung der Verhältnisse war grauenerregend. Er wollte nicht ausschließen, dass sie übertrieb, hatte aber den Eindruck, dass sie aufrichtig war. Ob man ihr glaubte oder nicht, schien ihr gleichgültig zu sein. Sie berichtete in der trockenen, ungeheizten Art eines Menschen, den das Thema, über das er spricht, nicht sonderlich interessiert, der aber trotzdem gern redet, weil er nichts Besseres zu tun hat.
    »Wie war das mit der Frau, die Sie umgebracht haben?«, fragte Flick.
    »Sie hatte mir was geklaut.«
    »Was?«
    »‘n Stück Seife.«
    Mein Gott, dachte Paul. Wegen eines Stücks Seife hat sie einen Menschen getötet.
    »Was haben Sie dann getan?«
    »Ich hab es mir zurückgeholt.«
    »Und dann?«
    »Is’ sie auf mir los. Sie hatte sich aus ‘nem Stuhlbein ne Keule gemacht, und die war an dem Ende, auf dasses ankommt, mit’m Brocken Klempnerblei verstärkt. Das Ding hat sie mir übern Kopp gezogen. Ich dachte, die bringt mir um. Aber ich hatte ja mein Messer. Ich hatte ‘n paar Tage vorher ‘nen langen, spitzen Glassplitter gefunden, muss wohl ‘ne Scherbe von ‘ner kaputten Fensterscheibe gewesen sein. Das breite Ende hatte ich in ‘n Stück alten Fahrradschlauch gewickelt, sodass ich es gut anfassen konnte, wie ‘n Griff. Na, und das hab ich ihr in den Hals gepiekst, und da isses dann nich mehr zu ‘nem zweiten Schlag von ihrer Seite gekommen.«
    Flick hätte sich am liebsten geschüttelt, unterdrückte den Impuls jedoch. »Klingt nach Notwehr«, sagte sie.
    »Nee. Da musst du nämlich beweisen, dass du nich’ weglaufen konntest. Und ich hab den Mord angeblich vorsätzlich geplant, weil ich mir aus der Scherbe ‘ne Waffe gebastelt hab.«
    Paul Chancellor erhob sich.
    »Bleiben Sie hier bei dem Aufseher, bitte«, sagte er zu Ruby. »Wir gehen mal kurz raus, sind aber gleich wieder da.«
    Ruby lächelte ihn an und sah dabei zum ersten Mal nicht direkt hübsch, aber doch recht nett aus. »Sie sind so höflich«, sagte sie anerkennend.
    Draußen auf dem Flur sagte Paul zu Flick: »Was für eine grässliche Geschichte!«
    »Vergessen Sie eines nicht«, erwiderte Flick vorsichtig. »Alle, die hier einsitzen, behaupten von sich, dass sie unschuldig sind.«
    »Trotzdem. Ich habe den Eindruck, dass man ihr übler mitgespielt hat als sie den anderen.«
    »Bezweifle ich. Ich halte sie für eine Mörderin.«
    »Also verzichten wir auf sie.«
    »Ganz im Gegenteil«, sagte Flick. »Sie kommt mir gerade recht.«
    Sie gingen wieder hinein, und Flick sagte zu Ruby: »Wenn wir Sie hier rausholen – machen Sie dann mit bei einem gefährlichen Kriegseinsatz?«
    Ruby Rowland antwortete mit einer Gegenfrage: »Drüben m Frankreich?«
    Flick zog die Brauen hoch: »Wie kommen Sie darauf?«
    »Sie haben anfangs Französisch mit mir gesprochen. Ich glaube, Sie wollten rauskriegen, ob ich die Sprache kann.«
    »Wie dem auch sei – ich kann Ihnen nicht viel über den Einsatz erzählen.«
    »Ich gehe jede Wette ein, dass es um Sabotage hinter den feindlichen Linien geht.«
    Paul Chancellor war verblüfft: Das Mädchen begriff verdammt schnell.
    Seine Überraschung war Ruby nicht entgangen. »Nun hören Sie mir mal zu: Erst dachte ich, ihr wolltet mir als Dolmetscherin oder Übersetzerin oder so was. Aber das is’ ja völlig ungefährlich. Also müssen wir rüber nach Frankreich machen. Und was soll die britische Armee dort schon tun außer Brücken in die Luft jagen und Eisenbahngleise und so?«
    Chancellor schwieg dazu, aber ihre Kombinationsgabe beeindruckte ihn sehr.
    Ruby runzelte die Stirn: »Worauf ich mir noch keinen Reim machen kann, ist die Frage, warum ihr unbedingt ‘n reines Damenteam haben wollt.«
    Flicks Augen weiteten sich. »Wie kommen Sie denn darauf?«
    »Wenn’s auch mit Männern ginge, wärt ihr beide jetzt wohl nich’ hier, was? Das muss ja fünf nach zwölfe bei euch sein. So leicht is’ das nämlich auch wieder nich’, eine Mörderin aus’m Knast zu holen, selbst wenn man sie für’n kriegswichtigen

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