Die Lerche fliegt im Morgengrauen
Kuß zu und ging hinaus. Brosnan öffnete die Balkontüren. Er trat hinaus in die Kälte und zündete sich eine Zigarette an, während er darauf wartete, daß sie aus dem Haus kam. Einige Sekunden später eilte sie durch die Haustür und entfernte sich.
»Leb wohl, Geliebte!« rief er ihr dramatisch nach. »Scheiden tut weh!«
»Idiot!« antwortete sie. »Geh lieber rein, ehe du dir eine Lungenentzündung holst.« Sie suchte sich vorsichtig einen sicheren Pfad über das vereiste Pflaster und bog am Ende des Blocks um die Ecke.
In diesem Moment klingelte das Telefon. Brosnan fuhr her um und eilte hinein. Er ließ die Balkontüren offenstehen.
Dillon nahm eine frühe Mahlzeit in einem Bistro ein, das er häufig besuchte. Er war zu Fuß unterwegs, und auf seinem Rückweg kam er an Brosnans Wohnhaus vorbei. Er blieb auf der anderen Straßenseite stehen. Ihm war trotz des dicken Matrosenmantels und der Strickmütze, die er sich weit über die Ohren gezogen hatte, unangenehm kalt. Er stand da, schwang heftig mit den Armen und sah hinauf zu den erleuchteten Fenstern der Wohnung.
Als Anne-Marie aus dem Hauseingang kam, erkannte er sie sofort und zog sich in den Schatten zurück. Die Straße war still, kein Verkehr herrschte, und als Brosnan sich über das Geländer beugte und ihr etwas zurief, verstand Dillon jedes Wort. Dadurch gewann er einen völlig falschen Eindruck. Daß sie die Wohnung verließ und vorerst nicht zurückkommen würde. Während sie um die Ecke bog, überquerte er schnell die Straße. Er griff nach seiner Walther, die auf dem Rücken im Hosenbund steckte, schaute sich sichernd nach allen Seiten um und vergewisserte sich, daß niemand in der Nähe war, dann begann er am Gerüst hochzuklettern.
Mary Tanner war am Telefon. »Brigadier Ferguson wollte wissen, ob wir Sie morgen früh, ehe wir zurückfliegen, noch einmal sprechen können.«
»Es wird Ihnen nicht viel nützen«, entgegnete Brosnan.
»Heißt das ja oder nein?«
»Na schön«, sagte er widerstrebend. »Wenn es unbedingt sein muß.«
»Ich verstehe Sie voll und ganz«, sagte sie. »Hat Anne-Marie sich erholt?«
»Sie ist ziemlich zäh«, sagte er. »Sie hat schon mehr Kriege miterlebt, als wir uns vorstellen können. Deshalb habe ich ihre Einstellung zu solchen Dingen, in die ich verwickelt bin, immer etwas seltsam gefunden.«
»O nein«, seufzte sie. »Ihr Männer könnt manchmal wirklich schwer von Begriff sein. Sie liebt Sie, Professor, so einfach ist das. Wir sehen uns morgen.«
Brosnan legte den Hörer auf. Ein kalter Lufthauch wehte durchs Zimmer und ließ das Kaminfeuer flackern. Er drehte sich um und entdeckte Sean Dillon, der in der offenen Balkon tür stand, die Walther in der linken Faust.
»Gott segne alle meine Gäste«, sagte er.
Der Feinkostladen in der Seitenstraße gehörte, wie viele Geschäfte dieser Art, einem Inder, einem gewissen Monsieur Patel. Er war überaus hilfsbereit, als er Anne-Marie bediente, trug sogar ihren Korb, als sie zwischen den Warenregalen umherschlenderte. Frische Baguettes, Milch, Eier, Briekäse, eine köstliche Quiche.
»Die hat meine Frau selbst gebacken«, versicherte Monsieur Patel ihr. »Zwei Minuten im Mikrowellenherd, und Sie haben eine perfekte Mahlzeit.«
Sie lachte. »Dann brauchen wir nur noch eine große Dose Kaviar und etwas geräucherten Lachs, um das Menü abzurun den.«
Er packte die gewünschten Waren ein. »Ich schreibe alles wie üblich auf Professor Brosnans Rechnung.«
»Vielen Dank«, sagte sie.
Er hielt ihr die Tür auf. »Es war mir ein Vergnügen, Made
moiselle.«
Sie machte sich auf den Rückweg über den stellenweise ver eisten Gehsteig und fühlte sich plötzlich, ohne besonderen Anlaß, ausgesprochen fröhlich.
»Gott, du selbst und die Jahre haben es aber gut mit dir ge meint.« Dillon zog sich den rechten Handschuh mit den Zäh nen aus und holte eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche. Brosnan, knapp einen Meter von der Tischschublade und der Browning High Power entfernt, machte eine vorsichtige Bewe gung. »Na na, keine Dummheiten.« Dillon drohte mit der Walther. »Setz dich auf die Sofalehne und verschränk die Hände hinterm Kopf.«
Brosnan befolgte die Aufforderung. »Du scheinst dich gut zu amüsieren, Sean.«
»Das tue ich. Wie geht’s denn Liam Devlin, dem alten Kna ben?«
»Von Tag zu Tag besser. Er wohnt immer noch in Kilrea in der Nähe von Dublin, aber das weißt du ja sicher selbst.«
»Das will ich wohl
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