Die Lerche fliegt im Morgengrauen
britischer Bürger keinen Paß für einen Flug zum englischen Festland. Das gleiche galt für einen französischen Touristen, der auf Jersey Urlaub machte. Er entschied sich für einen Paß auf den Namen Henri Jacaud, einen Autohändler aus Rennes.
Dazu passend fand er einen Führerschein von Jersey auf den Namen Peter Hilton mit einer Adresse im Hauptort der Insel, St. Helier. Die Führerscheine von Jersey waren im Gegensatz zu den Führerscheinen auf dem britischen Festland mit einem Foto versehen. Es war immer nützlich, überzeugende Identi tätspapiere bei sich zu führen, wie er schon vor Jahren festge stellt hatte. Es gab nichts Besseres, als die Leute das Gesicht mit einem Foto vergleichen zu lassen, und die Fotos auf dem Führerschein und auf dem französischen Paß waren identisch. Das war der springende Punkt.
Er löste ein wenig schwarze Haarfarbe im warmen Wasser auf und begann die Lösung in sein blondes Haar zu pinseln. Erstaunlich, welchen Unterschied es ausmachte, wenn man nur die Haarfarbe änderte. Er fönte es trocken und fixierte die Frisur mit etwas Pomade. Dann wählte er aus einer Reihe von Brillen ein Modell mit Horngestell und leicht getönten Gläsern. Er schloß die Augen, rief sich seine Rolle ins Gedächtnis, und als er sie wieder öffnete, sah ihn Henri Jacaud aus dem Spiegel an. Der Effekt war außerordentlich. Er klappte den Koffer zu, verstaute ihn wieder im Schrank, zog sein Hemd an und ging mit Paß und Führerschein in die Hauptkabine.
In diesem Moment kam Makeev den Niedergang herunter. »Herrgott im Himmel!« rief er aus. »Für einen Moment habe ich wirklich gedacht, Sie sind ein anderer.«
»Aber das bin ich«, sagte Dillon. »Henri Jacaud, Autohändler aus Rennes, unterwegs zu seinem Winterurlaub auf Jersey. Mit dem Tragflächenboot von St. Malo.« Er hielt den Führerschein hoch. »Und zugleich Einwohner Jerseys, Peter Hilton, Buch halter in St. Helier.«
»Sie brauchen keinen Paß, um nach London zu gelangen?«
»Nicht von Jersey aus. Das ist nämlich britischer Boden. Der Führerschein verhilft mir nur zu einem Gesicht. Das beruhigt die Leute ungemein. Sie meinen, genau zu wissen, wer man ist. Sogar die Polizei reagiert so.«
»Was war heute abend, Sean? Was ist wirklich vorgefallen?«
»Ich hielt den Zeitpunkt für gekommen, mich um Brosnan zu kümmern. Mein Gott, Josef, er kennt mich zu gut. Er weiß über mich Bescheid wie kein zweiter, und das könnte gefährlich werden.«
»Das begreife ich. Ein kluger Kopf, der Professor.«
»Es geht noch weiter, Josef. Er weiß, wie ich handle, wie ich denke. Er ist von der gleichen Art wie ich. Wir haben in der gleichen Welt gelebt, und Menschen ändern sich nicht. Ganz gleich, was er erreicht hat, im Grunde ist er immer noch der selbe, der Mann, der in den alten Zeiten der gefürchtetste Vollstrecker der IRA war.«
»Sie haben also entschieden, ihn zu beseitigen?«
»Es war eine Eingebung. Ich kam an seinem Haus vorbei und sah, wie die Frau wegging. Er rief ihr etwas nach. So wie es klang, nahm ich an, daß sie sich für den Abend und die Nacht verabschiedet hatte, also nutzte ich die Chance und kletterte am Gerüst hoch.«
»Was passierte?«
»Ich habe ihn überrascht.«
»Aber Sie haben ihn nicht getötet.«
Dillon lachte, ging in die Küche und kam mit einer Flasche Krug und zwei Gläsern zurück. Während er die Flasche öffne te, meinte er: »Ich bitte Sie, Josef, Auge in Auge nach so vielen Jahren. Es gab einiges zu erzählen.«
»Sie haben ihm doch nicht verraten, für wen Sie arbeiten?«
»Natürlich nicht«, log Dillon fröhlich und schenkte den Champagner ein. »Wofür halten Sie mich?«
Er prostete Makeev zu, der sagte: »Ich meine, ob er erfahren hat, daß Sie ein Ersatzziel haben, daß Sie Major ins Auge gefaßt haben.« Er zuckte die Achseln. »Das würde nämlich bedeuten, daß auch Ferguson davon erfährt. Dadurch würde es für Sie nahezu unmöglich, Ihr Vorhaben in London erfolgreich durchzuführen. Ich bin mir sicher, daß Aroun die ganze Sache
abblasen würde.«
»Nun, er weiß es nicht.« Dillon trank mehr Champagner. »Deshalb kann Aroun weiter ruhig schlafen. Außerdem will ich die zweite Million. Ich habe übrigens in Zürich nachgefragt. Die erste Million wurde überwiesen.«
Makeev trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Natürlich. Wann wollen Sie aufbrechen?«
»Morgen oder übermorgen. Mal sehen. Unterdessen können Sie für mich etwas organisieren. Es geht
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