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Die Lerche fliegt im Morgengrauen

Titel: Die Lerche fliegt im Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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keinerlei Vorstrafen hat. Er hat keinen einzigen Tag im Gefängnis gesessen.«
    »Und er ist noch immer ein Gangster?«
    »Das hängt davon ab, wie Sie diesen Begriff definieren. Es gibt sehr viel, was er sich erlaubt hat oder auch seine Leute, damals, in den frühen Tagen. Das, was man altmodische Verbrechen nennen könnte.«
    »Sie meinen, nichts so Schlimmes und Gemeines wie Drogen oder Prostitution? Nur bewaffnete Raubüberfälle, Schutzgel­ derpressung, solche Kleinigkeiten?«
    »Werden Sie nicht böse. Er besitzt die Spielkasinos, ist an elektronischen Entwicklungen und Bauvorhaben beteiligt. Ihm gehört halb Wapping. Fast das gesamte Flußufer. Er arbeitet völlig legal.«
    »Und ist immer noch Gangster?«
    »Sagen wir mal so, er ist für viele Leute aus dem East End immer noch der Gouverneur. Der Yank, so nennen sie ihn. Sie werden ihn mögen.«
    »Tatsächlich?« Sie musterte ihn überrascht. »Und wann tref­ fen wir ihn?«
    »Sobald ich es irgendwie arrangieren kann. Egal, was sich im East End tut, Harry und seine Leute wissen genau darüber Bescheid. Wenn überhaupt jemand mir helfen kann, Sean Dillon zu fangen, dann er.« Der Kellner erschien und servierte Schalen mit französischer Zwiebelsuppe. »Sehr gut«, sagte Brosnan. »Wir sollten erst einmal essen, ich bin nämlich gleich verhungert.«

    Harry Flood kauerte in einer Ecke der Grube. Er hatte die Arme fest verschränkt, um seine Körperwärme zu halten. Er war bis zur Hüfte nackt, barfuß und nur mit seiner Kampfhose in Tarnfarbe bekleidet. Die Grube hatte kaum einen Meter Durchmesser, und Regen strömte unbarmherzig durch das Bambusgitter über seinem Kopf. Manchmal starrten die Viet­ cong auf ihn herab, Besucher, denen der Yankeehund gezeigt wurde, der in seinem eigenen Schmutz lag, obgleich er sich schon längst an den Gestank gewöhnt hatte.
    Es schien, als sei er dort schon seit einer Ewigkeit, und die Zeit hatte für ihn keine Bedeutung mehr. Er hatte noch nie eine derart umfassende Verzweiflung empfunden. Es regnete jetzt heftiger, das Wasser sickerte über den Grubenrand wie ein kleiner Wasserfall, und der Wasserspiegel stieg schnell an. Erst umspülte es seine Füße, dann stand es schon in Brusthöhe, und er begann sich hochzustemmen. Es rann über seinen Kopf, und er spürte keinen Grund mehr unter den Füßen und trat Wasser wie ein Wilder, um oben zu bleiben. Er kämpfte um Atem und krallte seine Finger in die Grubenwand. Plötzlich packte eine Hand ihn, eine starke Hand, und sie zog ihn hoch

    und aus dem Wasser, und er begann wieder zu atmen.

    Er schreckte aus dem Schlaf hoch und saß aufrecht im Bett. Er hatte diesen Traum in unregelmäßigen Abständen seit Vietnam, und das war schon verdammt lange her. Gewöhnlich endete der Traum damit, daß er ertrank. Die Hand, die ihn herauszog, war etwas Neues. Er tastete nach seiner Uhr. Es war fast zehn. Er machte immer am frühen Abend ein Nickerchen, ehe er einen der Clubs aufsuchte, aber diesmal hatte er verschlafen. Er nahm die Uhr, suchte schnell das Badezimmer auf und duschte. Als er sich rasierte, bemerkte er die grauen Fäden in seinem schwarzen Haar.
    »Einmal erwischt es uns alle, Harry«, sagte er leise und lä­ chelte.
    Tatsächlich lächelte er die meiste Zeit, obgleich jeder, der ihn eingehender beobachtete, einen gewissen Weltverdruß darin entdeckt hätte. Es war das Lächeln eines Mannes, der das Leben insgesamt als eine Enttäuschung ansah. Er war auf eine gewisse herbe Art attraktiv, hatte kräftige Muskeln und athleti­ sche Schultern. Wirklich nicht übel für einen Sechsundvierzig­ jährigen, wie er sich mindestens einmal am Tag aufmunternd sagte.
    Er zog ein schwarzes Seidenhemd von Armani an, das er am Hals zuknöpfte, ohne sich eine Krawatte umzubinden, und darüber einen großzügig geschnittenen Armani-Anzug aus dunkelbrauner Rohseide. Er überprüfte sein Äußeres im Spie­ gel.
    »Vorhang auf, Licht an, Action, Baby«, sagte er und ging hinaus.
    Seine Wohnung war riesig. Sie war Teil eines Lagerhausneu­ baus auf dem Gable Wharf. Die Klinkerwände des Wohnzim­ mers waren weiß gestrichen, der Holzfußboden auf Hochglanz lackiert, und überall verstreut lagen indische Teppiche. Dazu gemütliche Sofas, eine Bar mit Flaschen aller Art dahinter. Nur für Gäste. Er trank niemals Alkohol. Vor der hinteren Wand stand ein großer Schreibtisch, und die Wand selbst war mit Bücherregalen bedeckt.
    Er öffnete die Glastüren und trat hinaus auf den Balkon, von

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