Die Lerche fliegt im Morgengrauen
dem aus man auf den Fluß hinunterschauen konnte. Es war sehr kalt. Die Tower Bridge lag rechts von ihm, der Tower von London, mit Scheinwerfern beleuchtet, stand dahinter. Ein Schiff glitt, aus dem Londoner Hafen kommend, unter ihm vorbei. Die Lichter erhellten grell die Dunkelheit, so daß er die Mannschaft auf Deck arbeiten sehen konnte. Es vermittelte ihm immer ein erhebendes Gefühl, und er atmete die kalte Luft tief ein.
Die Tür am fernen Ende des Wohnraums ging auf, und Mor decai Fletcher kam herein. Er war ungefähr einsachtzig groß, hatte eisengraues Haar, einen sorgfältig gestutzten Schnurrbart und trug einen maßgeschneiderten, zweireihigen Blazer und eine Krawatte. Seine konservative Erscheinung wurde etwas durch das Narbengewebe um die Augen und die breite Nase gemildert, die mehr als einmal gebrochen worden war.
»Du bist schon auf«, stellte er gleichmütig fest.
»Sieht so aus, oder?« fragte Flood.
Mordecai war seit fast fünfzehn Jahren seine rechte Hand, ein nützlicher Schwergewichtsboxer, der klug genug gewesen war, aus dem Ring zu steigen, ehe sein Gehirn in Pudding verwan delt wurde. Er ging hinter die Bar, schüttete PerrierMineralwasser in ein Glas, fügte Eis und eine Zitronenscheibe hinzu und brachte das Getränk herüber.
Flood nahm es ihm aus der Hand, ohne sich zu bedanken. »Mein Gott, wie ich diesen alten Fluß liebe. Gibt es etwas Besonderes?«
»Dein Buchhalter hat angerufen. Es müssen irgendwelche Papiere im Zusammenhang mit dem Kaufhausbau unterschrie ben werden. Ich habe gesagt, er soll sie morgen früh herbringen und hierlassen.«
»Ist das alles?«
»Maurice hat aus dem Embassy angerufen. Er sagte, daß Jack Harvey mit diesem Luder von seiner Nichte dagewesen ist und was gegessen hat.«
»Myra?« Flood nickte. »Ist irgend etwas passiert?«
»Maurice sagte, Harvey hat gefragt, ob du später reinschaust. Er sagte, daß er zurückkommen und sein Glück an den Tischen versuchen will.« Er zögerte. »Du weißt genau, worauf dieser Bastard scharf ist, Harry, und du meidest ihn besser.«
»Wir verkaufen nicht, Mordecai, und ganz bestimmt gehen wir auch keine Partnerschaft ein. Jack Harvey ist der schlimm ste Ganove im ganzen East End. Neben ihm sehen die KrayBrüder wie der reinste Kindergarten aus.«
»Ich dachte, das seist du, Harry.«
»Ich habe niemals etwas mit Drogen zu tun gehabt, Morde
cai, und ich lasse auch keine Mädchen anschaffen gehen, das weißt du. Okay, für einige Jahre war ich ein ziemlich wilder Bursche. Ich meine, wir beide waren es.« Er ging in den Wohnraum und weiter zu seinem Schreibtisch und nahm das Foto im silbernen Rahmen hoch, das dort immer stand. »Wenn ich bedenke, wie Jean starb. All die schlimmen Monate.« Er schüttelte den Kopf. »Nichts war mehr wichtig, und du kennst das Versprechen, das ich ihr kurz vor ihrem Ende gab. Nämlich auszusteigen.«
Mordecai schloß das Fenster. »Ich weiß, Harry. Sie war eine tolle Frau, unsere Jean.«
»Deshalb habe ich unsere Geschäfte legalisiert, und hatte ich damit nicht recht? Weißt du, wie hoch zur Zeit unsere Netto einnahmen sind? Fast fünfzig Millionen. Fünfzig Millionen.« Er grinste. »Also sollen sich doch Jack Harvey und solche wie er die Hände schmutzig machen, wenn sie es unbedingt wol
len.«
»Ja, aber für die meisten Leute im East End bist noch immer du der Gouverneur, Harry, du bist noch immer der Yank.«
»Ich beklage mich ja nicht.« Flood öffnete einen Schrank und holte einen dunklen Mantel heraus. »Es gibt Zeiten, da hilft einem das ein Stück weiter, das weiß ich. Und jetzt nichts wie los. Wer fährt heute?«
»Charlie Salter.«
»Gut.«
Mordecai zögerte. »Soll ich ein Eisen mitnehmen, Harry?«
»Um Gottes willen, Mordecai, wir sind gesetzestreu, wie oft muß ich dir das sagen.«
»Aber Jack Harvey ist es nicht, das ist doch das Problem.«
»Überlaß Jack Harvey ruhig mir.«
Sie fuhren mit dem alten Lastenaufzug nach unten ins Lager
haus, wo die schwarze Mercedes-Limousine parkte. Charlie Salter, ein kleinwüchsiger Mann in grauer Chauffeursuniform, lehnte dagegen und las in einer Zeitung. Diese faltete er nun schnell zusammen und hielt die hintere Tür auf.
»Wohin, Harry?«
»Zum Embassy, und fahr vorsichtig. Heute nacht hat es ziem
lich stark gefroren, und gib mir mal die Zeitung.«
Salter schob sich hinter das Lenkrad, und Mordecai nahm neben ihm Platz und griff nach der elektronischen Torbedie nung. Die Lagerhaustore
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