Die Lerche fliegt im Morgengrauen
Welt
wollen Sie ihn wiederfinden?«
»Er hat einen Schwachpunkt«, sagte Brosnan. »Er hält sich von allen IRA-Kontakten fern, aus Angst vor Verrat. Damit bleibt ihm nur eine Wahl. Die, die er gewöhnlich trifft. Die Unterwelt. Alles, was er braucht, Waffen, Sprengstoff, sogar direkte Hilfe sucht er sich dort, wo man so etwas gewöhnlich findet, und wissen Sie, wo das ist?«
»Im East End von London?«
»Ja, das ist fast ebenso romantisch wie Little Italy in New York oder die Bronx. Die Kray-Brüder, das einzige, was England an kinoreifen Gangstern zu bieten hat, dann die Richardson-Bande. Wissen Sie über das East End etwas Be scheid?«
»Ich dachte, das alles sei längst Geschichte.«
»Aber überhaupt nicht. Eine ganze Reihe großer Nummern, die Gouverneure, wie sie genannt werden, haben sich bis zu einem gewissen Grad auf die Seite des Gesetzes geschlagen, aber die traditionellen Verbrechen wie Raubüberfälle, Bank überfälle, Überfälle auf Geldtransporter werden im großen und ganzen von ein und derselben Gruppe verübt. Es sind alles Familienväter, die ihr Gewerbe als ehrenwerten Beruf betrach ten, aber sie schießen sofort, wenn man ihnen in die Quere kommt.«
»Wie nett.«
»Jeder weiß, wer sie sind, auch die Polizei. Und es ist diese Welt, diese Bruderschaft, in der Dillon Hilfe sucht.«
»Verzeihen Sie«, sagte sie. »Das ist doch sicherlich eine ziemlich verschworene Gemeinschaft, nicht wahr?«
»Da haben Sie absolut recht, aber zufälligerweise verfüge ich über das, was man einen Zugang dazu nennen könnte.«
Er schenkte sich ein weiteres Glas Champagner ein. »Damals in Vietnam, im Jahr 1968, in meiner wilden und verrückten Jugendzeit, war ich Fallschirmspringer bei den Airborne Rangers. Ich gehörte zu einer Abteilung der Special Forces, die in Kambodscha operierte, natürlich völlig illegal, wie ich hinzufügen darf. Die Angehörigen stammten aus allen Berei chen des Militärs. Es waren Leute mit ganz speziellen Qualifi kationen. Wir hatten sogar ein paar Ledernacken bei uns, und so lernte ich Harry Flood kennen.«
»Harry Flood?« sagte sie und runzelte die Stirn. »Aus ir gendeinem Grund kommt mir der Name bekannt vor.«
»Das ist möglich. Ich erkläre es Ihnen. Harry ist im gleichen Alter wie ich. Geboren wurde er in Brooklyn. Seine Mutter starb bei seiner Geburt. Er wuchs bei seinem Vater auf, der starb, als Harry achtzehn Jahre alt war. Er ging zu den Marines, um irgendwas zu tun, und kam nach Vietnam, wo ich mit ihm zusammentraf.« Er lachte. »Ich werde das erste Mal niemals vergessen. Wir steckten bis zum Hals in einem stinkenden Sumpf im Mekong-Delta.«
»Klingt interessant.«
»Ja, das und noch mehr. Er wurde dekoriert: Silver Star, Navy Cross. Neunundsechzig, als ich rauskam, mußte Harry noch ein Jahr Dienst leisten. Sie schickten ihn auf einen Posten in London. Dienst bei der Botschaftswache. Er war damals noch Sergeant, und da geschah es.«
»Was denn?«
»Er lernte eines Abends im alten Lyceum Ballroom ein Mäd
chen kennen. Sie hieß Jean Dark. Es war ein hübsches, reizen des zwanzigjähriges Ding in einem schlichten Baumwollkleid. Es gab nur einen wesentlichen Unterschied zu ihren Altersge nossinnen. Die Familie der Darks waren Gangster, echte Spitzbuben, wie man sie nur im East End finden kann. Ihr alter Herr hatte sich unten am Fluß ein kleines Reich aufgebaut und war auf seine Art genauso berühmt wie die Kray-B rüder. Er starb später im gleichen Jahr.«
»Was geschah dann?« Sie war völlig fasziniert.
»Jeans Mutter versuchte, die Führung zu übernehmen. Ma Dark nannten sie alle. Es gab Differenzen. Rivalisierende Banden. Solche und ähnliche Dinge. Harry und Jean heirateten, er wurde in London aus dem Dienst entlassen, blieb dort und wurde regelrecht in alles hineingezogen. Er schlichtete den Streit zwischen den Parteien.«
»Sie meinen, er wurde Gangster?«
»Um jetzt nicht in Details zu gehen, ja, aber auch mehr, viel mehr. Er wurde einer der mächtigsten Gouverneure des East End von London.«
»Mein Gott, jetzt erinnere ich mich. Ihm gehören die Kasi nos. Er ist derjenige, der hinter den Bauten am Themseufer steckt, der dort groß investiert.«
»Stimmt. Jean starb vor fünf oder sechs Jahren an Krebs. Ihre Mutter starb lange vor ihr. Er machte weiter.«
»Ist er denn jetzt Engländer?«
»Nein, seine amerikanische Staatsbürgerschaft hat er nie aufgegeben. Die Behörden konnten ihn bisher nicht ausweisen, weil er
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