Die Lerche fliegt im Morgengrauen
ist zugleich Gelehrter, Dichter und Untergrundkämpfer der IRA.«
»Letzteres betrachte ich nicht unbedingt als Empfehlung«, sagte sie.
»Ich weiß«, meinte er. »Aber machen Sie nicht den Fehler, Devlin mit dem üblichen Gesindel, das heute zur IRA gehört, in einen Topf zu werfen.«
Er verstummte, wurde plötzlich ernst und verschlossen, wäh rend der Wagen durch die irische Landschaft rollte und die Stadt hinter sich ließ.
Kilrea Cottage hieß das Anwesen, und es lag am Rand des
Dorfs unweit eines Klosters. Es war ein alter Bau, einstöckig mit gotischen Giebeln und verbleiten Fenstern auf beiden Seiten des Portals. Sie standen dort vor einem leichten Niesel regen geschützt, während Brosnan an einer altmodischen Klingelschnur zog. Schritte erklangen, die Tür wurde geöffnet.
»Cead mile failte«, sagte Liam Devlin auf irisch. »Seid hun
derttausendfach willkommen.« Und er umarmte Brosnan.
Das Innere des Hauses war sehr viktorianisch. Die meisten Möbel bestanden aus Mahagoni, die Tapete zeigte ein Motiv von William Morris, doch die Gemälde an den Wänden, alle von Atkinson Grimshaw, waren echt.
Liam Devlin kam mit einem Tablett aus der Küche herein. Auf dem Tablett befanden sich eine Teekanne und Tassen. »Meine Haushälterin kommt nur vormittags. Es ist eine der barmherzigen Schwestern aus dem Kloster nebenan. Sie brauchen das Geld.«
Mary Tanner war über die Maßen verblüfft. Sie hatte einen alten Mann erwartet und sah vor sich eine alterslose Person in einem schwarzen italienischen Seidenhemd, schwarzem Pullo ver und grauer Hose, die nach neuester Mode geschnitten war. Sein Haar, das früher einmal schwarz gewesen war, zeigte jetzt kräftige graue Strähnen, und das Gesicht war sehr blaß. Aber Mary Tanner war überzeugt, daß es schon immer so ausgese hen hatte. Die blauen Augen waren auffällig, ebenso das ständige ironische Lächeln, mit dem er sich sowohl über die Welt wie auch über sich selbst lustig zu machen schien.
»Sie arbeiten also für Ferguson, Kindchen?« sagte er zu Ma
ry, während er Tee einschenkte.
»Das ist richtig.«
»Dieser Zwischenfall in Derry im vergangenen Jahr, als Sie den Wagen mit der Bombe wegfuhren. Das war schon eine tolle Sache.«
Sie spürte, wie sie errötete. »Ach, so toll war das auch wieder nicht, Mr. Devlin, es war einfach das einzig Richtige, was ich noch tun konnte.«
»Ach, das Richtige erkennen wir alle, aber es auch zu tun, darauf kommt es an.« Er wandte sich an Brosnan. »AnneMarie. Eine ganz schlimme Sache, mein Freund.«
»Ich will ihn schnappen, Liam.«
»Um mit ihm abzurechnen oder aus allgemeinen Erwägun
gen?« Devlin schüttelte den Kopf. »Schieben Sie die persönli chen Gründe beiseite, Martin, sonst machen Sie Fehler, und die können Sie sich bei Sean Dillon nicht erlauben.«
»Ja, ich weiß«, sagte Brosnan. »Ich weiß.«
»Er hat es also auf diesen John Major abgesehen, den neuen Premierminister?« fragte Devlin.
»Und was meinen Sie, wie wird er es versuchen, Mr. Dev lin?« fragte Mary.
»Nun, nach dem, was man heute über die Sicherheitsvorkeh rungen in der Downing Street weiß, beurteile ich seine Chan cen als nicht besonders hoch.« Er sah Brosnan an und grinste. »Bei dieser Gelegenheit, liebe Mary, erinnere ich mich an einen jungen Burschen namens Martin Brosnan, der es vor knapp zehn Jahren geschafft hat, als Kellner verkleidet an einer Party in Nummer zehn teilzunehmen. Er hat sogar eine Rose auf dem Schreibtisch des Premierministers zurückgelassen. Natürlich wurde das Amt damals von einer Frau versehen.«
Brosnan winkte ab. »Das ist alles Vergangenheit, Liam, wie sieht es jetzt aus?«
»Nun, er wird wohl genauso vorgehen wie damals und sich seiner Beziehungen zur Unterwelt bedienen.«
»Nicht der IRA?«
»Ich bezweifle, ob die IRA mit dieser Sache überhaupt etwas zu tun hat.«
»Aber sie hatten ihre Finger mit im Geschehen, als er vor
zehn Jahren das letzte Mal in London aktiv war.«
»Und?«
»Ich hab’ darüber nachgedacht. Wenn wir wüßten, wer ihm damals seine Aufträge gab, dann könnte uns das vielleicht weiterhelfen.«
»Ich verstehe. Sie hätten damit vielleicht einen Hinweis dar auf, mit wem er jetzt in London zusammenarbeitet.«
»Nun, besonders groß ist die Chance nicht, aber es ist die einzige, die wir haben, Liam.«
»Da ist doch noch Flood, Ihr Freund in London.«
»Ich weiß, und er setzt bereits alle Hebel in Bewegung, aber auch das dauert seine
Weitere Kostenlose Bücher