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Die Letzte Arche

Die Letzte Arche

Titel: Die Letzte Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
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hinunter.

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    Unter den glitzernden Sternen hing Venus in ihrem warmen, sauberen, klobigen Druckanzug im Weltraum. Ihre gestiefelten Füße waren an das Mobile Servicing System geschnallt, den Manipulatorarm. Sie hatte allgemeine Wartungsarbeiten am Isoliermaterial vorgenommen, das – ausgeblichen, zernarbt und abgenutzt – immer noch den größten Teil des Moduls überzog.
    Sie führte ihre Außenbordeinsätze am liebsten nur während der Nachtwache durch. Tagsüber, wenn Wilson und seine Jungs wach und aktiv waren, zahlte es sich aus, im Innern des Moduls und auf der Hut zu sein. Sie dachte manchmal, dass sie und die übrigen Älteren in Wirklichkeit nur noch die Aufgabe hatten, als Puffer zwischen Wilson und den anderen zu fungieren.
    Jetzt befahl sie dem Arm, sie nach oben zu heben, weg vom Schiff. Während sie hochstieg, betrachtete sie das Sternenfeld, das nun uneingeschränkt sichtbar war und sich langsam ums Schiff drehte, und die Teleskop-Plattformen, die in der näheren Umgebung des Moduls schwebten, treue Gefährten. Selbst siebzig Lichtjahre von der Erde entfernt, siebenundzwanzig Jahre nach dem Start von Gunnison, hatten sich die Sternbilder nicht wesentlich verändert. Aber man bekam doch ein Gefühl von Bewegung, wenn man wusste, worauf man achten musste, auf diese leicht bläuliche Verfärbung der Sterne vor dem Modul, und natürlich auf diese unheimliche Scheibe der Leere, die sie
unablässig verfolgte. Zane bezeichnete sie gruseligerweise als »Maul des Ouroboros«.
    Sie musterte das Schiff, das unter ihr lag. Ihr Blick folgte dem gegliederten Arm von ihren Füßen bis zu dem schweren Kugelgelenk, mit dem er am Rumpf befestigt war. Sie untersuchte den hässlichen, stummeligen Tank des Moduls mit seinem Isoliermaterial, seinen Sensorplattformen und Luftschleusen, dem immer mehr verblassenden Sternenbanner auf der Flanke, den beiden verbliebenen Shuttle-Gleitern, die wie aufgespießte Nachtfalter aussahen, und der Kuppel, ihrem eigenen Reich, das in der Nähe des Fußendes wie ein Juwel leuchtete. Sie nahm gern hin und wieder einmal eine solche visuelle Inspektion vor, nur um festzustellen, ob es etwas Augenfälliges gab, was die automatischen Systeme nicht erfasst hatten. Das konnte durchaus vorkommen, besonders im Fall eines Mehrfachversagens, zum Beispiel ein Treibstoffleck genau an der Stelle, wo die Drucksensoren ausgefallen waren. Je länger die Mission dauerte und je älter die Systeme wurden – sie hatten die Konstruktionsvorgaben der Arche jetzt schon deutlich überlebt –, desto größer war die Gefahr, dass solche eigentlich wenig wahrscheinlichen Situationen doch eintraten. Venus hatte sich diese Gewohnheit während ihrer Trainingseinheiten bei Gordo Alonzo angeeignet, einem erfahrenen Astronauten. Kann ja nichts schaden, einmal drumrum zu laufen und gegen die Reifen zu treten, hatte er immer gesagt …
    Sie sah so etwas wie eine Kräuselung um den Bauch einer der Raumfähren – Shuttle A, oben in der Nähe der stumpfen Nase des Moduls. In Simulationen hatte sie das oft genug gesehen. Es war ein Anzeichen dafür, dass sich Verschlüsse öffneten; sie fingen dabei das Scheinwerferlicht des Schiffes ein. Dann erbebte das Shuttle, hob mit einem Ruck ab, als hätte es Schwierigkeiten,
sich von einem seit Jahrzehnten nicht mehr entriegelten Kopplungssegment zu lösen, und entfernte sich von der Arche. Aus den kleinen Steuerdüsen spritzten Abgaswölkchen in den Raum, Kristallfächer, die sich im Dunkel zerstreuten.
    Alles in völliger Stille.
    Venus betätigte mit der Zunge schockiert den Schalter ihres Helmfunks. »Hawila, Jenning. Jemand hat gerade ein Shuttle gestartet. Wache, was ist da drin los?« Wenn das irgendeine Übung war, hätte sie davon hören müssen. Verdammt, sie war hier draußen ; wenn sich das Shuttle am Manipulatorarm verfing, konnte das katastrophale Folgen haben. Aber bei was für einer Übung wäre ein reales Ablegemanöver erforderlich, eine solche Vergeudung von Treibstoff? Sie hatten schon genug durch Lecks verloren.
    Keine Antwort. Sie versuchte sich zu erinnern, wer in dieser Nacht Dienst hatte. Noch beunruhigender war, dass sie nicht einmal das übliche atmosphärische Rauschen hörte. Aber es gab ein Reservesystem. Sie nahm einen Stecker von ihrem Gürtel und stöpselte ihn in eine Buchse am Manipulatorarm. Dies war ein alternativer Funkkanal, der durch die cybernetischen Steuerkreise des Arms verlief. »Hawila, Jenning. Irgendein Arschloch hat gerade

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