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Die Letzte Arche

Die Letzte Arche

Titel: Die Letzte Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
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zwanzig Sekunden, um ihn noch einmal um das Zehnfache zu verringern.

    Steel starrte ihm ins Gesicht. Seine Reaktion schien ihr ebenso viel zu bedeuten wie die Wirklichkeit dieses Augenblicks. »Bist du bereit, Theo Morell? Bereit, deinen Kontrolleuren gegenüberzutreten? «
    Er suchte verzweifelt nach Argumenten, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen oder zumindest aufzuhalten. »Ihr habt doch gewonnen, verdammt nochmal. Ihr habt Wilson besiegt. Reicht das nicht? Wir können das Schiff wieder reparieren. Lass uns darüber reden, wie es weitergehen soll, wie wir in Zukunft zusammenleben können …«
    Steel lachte nur. Max nahm eine Brechstange und schob das Ende unter die lose Platte. Er stützte sich an einer Halterung ab, bereit, sein Gewicht einzusetzen, um sie loszustemmen.
    Theo sah sie an, Steel mit ihrem zerschlagenen Gesicht, den fünfzehnjährigen Max Baker, Magda Murphy, die selbst jetzt noch ihr Baby in den Armen hielt. Sie konnten alle in ein paar Sekunden tot sein. »Steel, um Gottes willen, ich schwöre dir, ich schwöre dir bei meinem Leben, bei dem meiner Mutter – niemand belügt euch. Nicht in diesem Punkt. Das Schiff ist real. Wenn ihr diese Luke öffnet, bringt ihr uns alle um.«
    Steel machte Anstalten, etwas zu sagen.
    Aber Max brüllte auf, übertönte jedes weitere Gespräch – ein Leben der Gefangenschaft und Frustration, wettgemacht in einem einzigen Moment –, und er stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Brechstange. Die Platte flog davon.
    Die Dekompression war eine Explosion, ein betäubender Donnerschlag.
    Theo sah die lose Platte wie ein Blatt herumwirbeln und durch das Loch in der Wand hinausfliegen. Er verspürte ein Reißen in den Lungen und einen gewaltigen Schmerz in den Ohren, als würden ihm Eisensplitter in den Schädel getrieben,
und ihm fiel ein, dass er den Mund weit öffnen musste. Um ihn herum wanden sich Leute, aber der heulende Wind riss ihre Schreie mit sich.
    Er schaute auf das Loch in der Wand, ein Loch in der Welt, und der Wind schob ihn darauf zu. Er sah die Sterne mit bloßem Auge. Selbst jetzt hatte er vielleicht noch eine Chance, wenn er sich festhalten konnte, bis die Luft weg war und der Wind nachließ, und wenn er einen Druckanzug fand, bevor er ohnmächtig wurde. Aber starke Hände packten ihn, drückten ihm die Arme an die Seiten und schoben ihn gewaltsam hinaus.
    Er drehte sich langsam. Er sah, wie die Außenwand des Schiffes mit ihrem zernarbten Isoliermaterial und dem hell erleuchteten, quadratischen, ordentlichen Loch von ihm zurückwichen. Auf einmal war er jenseits der Wand – außerhalb des Moduls , nackt. Vor ihm fand so etwas wie ein Kampf statt, Menschen kletterten übereinander, um im Modul zu bleiben. Aber sie purzelten heraus, hinter ihm her. Theo sah ein hilfloses Kind, das im Weltraum zappelte.
    Er fror. Er konnte nichts mehr sehen. Der Schmerz in seiner Brust war unerträglich, reißend, brennend. Er dachte an seine Mutter.
    Etwas platzte in seinem Kopf.
     
    Der Dekompressionswind erstarb bereits. Die dünner werdende Luft schied ihren Wasserdampf in Form eines Nebels ab, der im Licht der Bogenlampen Perlen bildete.
    Holle ließ den Mund weit geöffnet. Die Gase in ihrem Bauch schwollen qualvoll an, bevor sie in einem explosiven Furz entwichen. Sie wusste, dass ihr nur noch Sekunden blieben, bis sie ohnmächtig werden würde – zehn Sekunden vielleicht, oder
auch weniger angesichts des Sauerstoffverbrauchs infolge ihrer hektischen, adrenalingeschwängerten Aktivitäten.
    Sie schaute sich um. Sie hatte sich unter die Rebellen gemischt und noch vor dem Loch im Rumpf angefangen, sie nach unten in Richtung Luftschleuse zum Shuttle B zu stoßen. Diejenigen, die jetzt noch hier waren, trieben in der Luft, verkrampften sich und erschlafften. Reif bildete sich auf ihren Mündern und Nasen, und ihre Haut schwoll an, als das Wasser in ihrem Blut und Gewebe verdampfte. Selbst jetzt konnten sie noch gerettet werden. Aber Holle konnte nicht alle retten.
    Noch eine Person.
    Sie sah Magda Murphy, fern der Wände, der Haltegriffe gestrandet. Magdas Mund stand weit offen, wie sie es für einen solchen Notfall trainiert hatten. Magda versuchte, zu ihrem Baby zu gelangen – irgendwie hatte sie es losgelassen –, aber es war außerhalb ihrer Reichweite. Erstaunlicherweise war die Kleine noch am Leben, anscheinend sogar noch bei Bewusstsein. Holle sah, wie sie ihre winzigen Finger bewegte.
    Holle konnte entweder Magda oder das Baby erreichen.

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