Die Letzte Arche
Gitterelementschichten von ihren Untertanen getrennt. Es war dunkel dort oben, ein Konglomerat aus Schatten; nichts rührte sich, es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass einer von Wilsons Leuten herunterkommen würde, um die Lage unter Kontrolle zu bringen.
Andere Mitglieder der Crew kamen jedoch bereits herbei und versammelten sich um Steel – die Jüngeren, die Generation der Schiffsgeborenen. Der Jüngste, den Helen sah, war der fünfzehnjährige Max Baker, der Bruder von Wilsons neuester Gespielin. Steel selbst war mit ihren dreiundzwanzig Jahren wahrscheinlich die Älteste. Eine Frau, Magda Murphy, kam mit einem Baby in den Armen herbeigeschwebt, einem müden, quengeligen Kind, einem Schiffsgeborenen der zweiten Generation. Nur Steel besaß eine Schusswaffe, aber die anderen waren mit Schraubenschlüsseln, Messern und Rohren ausgerüstet. Wie Helen an ihren Tätowierungen und ihren gefärbten Haaren sah, gehörten sie zu verschiedenen Clans und Gangs, die sich für diesen klimaktischen Moment zusammengeschlossen hatten.
Steel lachte, als sie sich um sie scharten. Wenn sie den Mund öffnete, sah man ihre Zahnlücken, eine Folge der Prügel, die sie von Wilson bezogen hatte, als sie schließlich aus seinem Bett geflogen
war. Steel hatte all das eindeutig geplant. Sie hatte diesen Augenblick vorbereitet, diese bunte Rebellion inszeniert und die sich bekriegenden Fraktionen vereint, ohne dass Helen, die das meiste von dem zu wissen glaubte, was im Modul vorging, auch nur das Geringste davon mitbekommen hatte.
Helen war noch verschlafen und verwirrt. Die Sache musste gestoppt werden, bevor jemand verletzt wurde – oder Schlimmeres. Sie schob sich nach vorn. »Steel!«, zischte sie. »Was, zum Teufel, machst du da?«
»Ein Ende«, sagte Steel so laut, dass alle es hören konnten. »Ich mache dieser Farce ein Ende!« Sie war wütend und außer sich; ihre Handbewegungen waren unbeherrscht.
Helen dachte daran, sie am Arm zu packen, schaute dann auf die Schusswaffe und überlegte es sich anders. »Was für eine Farce?«
»Wir vergeuden unser Leben in diesem Tank, unser ganzes Leben. Was immer diese Mission ist, wozu auch immer sie gut sein soll, wir sind bloß Gefangene.« Sie deutete auf die Frau mit dem Baby. »Jetzt kriegen wir selber Kinder, noch mehr Babys, die in diesen Käfig hineingeboren werden. Wollen wir, dass unserer Kinder dieselbe ›Ausbildung‹ genießen wie wir? Wollen wir, dass sie dafür bestraft werden, dass sie klug sind?«
Zustimmendes Gemurmel war zu hören, und einige Mitglieder der Crew hoben ihre Waffen.
Helen verstand ihre Verbitterung. Sie gehörte selbst zu dieser mittleren Generation, einer Generation, für die sich das Schiff als Gefängnis erwies. Sie würde fast vierzig sein, wenn – falls – das Schiff zur Erde III gelangte: alt! Die Hälfte ihres Lebens verbraucht, ihre Jugend dahin. Aber ihr war auch klar, dass ihnen jetzt, wo sie unterwegs waren, nichts anderes übrig blieb, als weiterzufliegen. Das war die brutale Wahrheit.
Jetzt packte sie Steel doch am Arm. »Steel, um Gottes willen, du bringst uns noch alle um! Wir sind in einem Raumschiff, siebzig Lichtjahre von der Erde entfernt. Es ist nicht groß genug für eine Revolution!«
Steel schüttelte sie ab. »Ihr habt die Lügen geschluckt«, sagte sie kalt. »Du und diese anderen Dummköpfe, die Venus Jenning erlaubt haben, ihnen lauter Müll einzutrichtern. Geh doch zurück in deine Kuppel, zu deinen Teleskopen und deinem Unterricht, du bist eine Verräterin an deinesgleichen …«
»Was für Lügen? Du meinst doch wohl nicht den Unsinn, den Zane daherredet.«
»Unsinn, ja? Du hältst dich doch für eine Wissenschaftlerin, oder? Was ist wahrscheinlicher, dass wir uns in einem Raumschiff befinden, das zu den Sternen hinausgeschleudert wurde, oder dass wir in einem HeadSpace-Tank in Denver, Alma oder Gunnison sind?« Sie wedelte mit der Hand. »Sie sind da draußen, stehen hinter Glaswänden und machen sich Notizen, beobachten uns auf dieselbe Weise, wie wir die Pflanzen in den Pampe-Tanks beobachten – sie schauen auf unser nutzloses Leben und lachen über uns. Und wenn unsere Kinder größer werden, picken sich Wilsons Leute die hübschesten und intelligentesten heraus und bringen sie nach oben, in seinen Palast aus Scheiße. Wollen wir uns dem beugen? Wollen wir das?«
Genau darum ging es bei alledem, vermutete Helen, ob es Steel nun bewusst war oder nicht. Steel wollte sich an Wilson dafür rächen, wie er sie
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