Die Letzte Arche
behandelt hatte.
Aber was immer Steels wahres Motiv sein mochte, sie traf einen bloßliegenden Nerv. Der raue Sprechchor setzte wieder ein: »Brecht – aus. Brecht – aus.« Die Leute waren erregt und wütend, sie schrien und schüttelten ihre stumpfen Werkzeuge und Rohre. Helen wich zurück. Furcht krallte sich in ihre Eingeweide.
Und als Steel den Mob mit einer Bewegung der Schusswaffe aufforderte, ihr zu folgen, setzte er sich in Bewegung, nach oben, zur Brücke.
Helen schaute sich um. Sie glaubte, ihre Mutter am anderen Ende des Moduls zu sehen, bei den Hydrokultur-Beeten unten. Sie drehte sich in der Luft und stieß sich dorthin ab.
Mit einem hörbaren Summen erstrahlten die großen Bogenlampen in voller Helligkeit, und das Modul wurde von ihrem grellen Lichtschein durchflutet.
Auf der Brücke, wie Wilson es nannte, hatte Theo Morell den großen Notgriff heruntergezogen, der die Bogenlampen auf volle Leistung schaltete. Er hielt sich an der Rutschstange fest, schwebte zum Boden hinunter, räumte Decken und Teppiche beiseite und versuchte, durch die Schutzschichten der Gitterelemente hindurch zu erkennen, was dort unten vorging.
Diese »Brücke« in der Nase des Moduls war wie ein großer, überkuppelter Raum. Ihre Wände waren mit Decken und Teppichen behängt, von der Crew in Handarbeit aus Resten abgetragener Uniformen angefertigt. Wilson und die Angehörigen seines engeren Teams besaßen ihre eigenen privaten Unterkabinen, die am Boden und an Wandhalterungen festgezurrt waren. Venus hatte einmal gesagt, hier sehe es aus wie in Dschingis Khans Jurte. Auf einem an der Rutschstange befestigten Bord standen und lagen die Überreste des Festmahls am Abend zuvor, klebrige Teller mit den Resten eines Pilzrisottos, eine leere Flasche Reiswein. Achtlos irgendwohin gelegte Kleidungsstücke trieben in der Luft, die Tür der Privattoilette stand offen, und ein übler Gestank hing um sie herum. Normalerweise wäre die Schweinerei von Dienern aufgeräumt worden, einem Arbeitstrupp der Crew, der durch die Luken im Boden nach oben
kam, bevor Wilson aufwachte und seinen Tag begann. Aber – Theo schaute auf seine Armbanduhr, es war erst kurz nach vier Uhr – heute Nacht würde niemand mehr aufräumen oder weiterschlafen.
Als der Geräuschpegel stieg, kamen Wilsons Männer allmählich aus ihren Kabinen. Außer Theo und Wilson selbst waren es vier weitere, alle ungefähr in Wilsons Alter – er war jetzt neunundvierzig – , allesamt Illegale. Sie waren splitterfasernackt oder trugen nur Shorts, wie Theo. Aus zwei der Kabinen hinter ihnen lugten noch andere Gesichter, klein und ängstlich, ein Junge, ein Mädchen, beide ungefähr vierzehn. Theo wusste nicht genau, wie sie hießen.
Jeb Holden stieß sich zu Theo hinüber. »Was, zum Teufel, soll das, kleiner Soldat? Warum hast du das verdammte Licht eingeschaltet? «
»Hast du den Schuss nicht gehört, du Arschloch?«
»Was für ’nen Schuss?«
Theo hörte dumpfes Stimmengemurmel, diesen fernen Sprechchor. »Brecht – aus – brecht – aus …« Jetzt nicht mehr so fern. Er spähte durch die Gitterelemente nach unten und erblickte eine Gruppe, die an der Rutschstange um die lose daranhängenden Kabinen herum zu der Barrikade heraufgeklettert kam. Steel Antoniadi führte sie an. Einige von ihnen waren bloß Kinder. An Steels Seite war Max Baker. Theo wusste, dass Max’ Zwillingsschwester gerade in Wilsons Bett lag.
»Brecht – aus – brecht – aus …«
»Was soll der Scheiß?«, blaffte Jeb.
»Sind bloß Kinder«, sagte Theo unsicher.
»Kinder mit Waffen, verflucht nochmal. Steel hat ’ne Knarre.« Jeb legte sich flach auf den Boden und brüllte durchs Gitter. Sein Speichel sprühte gegen das Metall. »Steel, du verdammte Nutte!
Du machst das alles doch bloß, weil Wilson dich an das Schwein weitergereicht hat, stimmt’s? Steel, du abgewarzte Schlampe, leg die Scheiß-Knarre weg, aber sofort!« Jeb, ein Nachkomme von Bewohnern Iowas, war auf einem Floß zur Welt gekommen, hatte sich jedoch mit vierzehn Jahren auf trockenes Land durchgekämpft und einer lokalen Miliz angeschlossen, um diejenigen zurückzutreiben, die ihm gefolgt sein mochten. Dann hatte ihn das Schicksal zur rechten Zeit an den richtigen Ort geführt, und es war ihm gelungen, einen Platz auf der Arche zu okkupieren, als sie von Gunnison startete.
Steel und die anderen waren jetzt nur noch ein paar Meter unterhalb des Bodens. Sie zielte mir ihrer Waffe auf die Trennwand. »Das Spiel
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