Die Letzte Arche
Raumschiff ist zu klein für Dschihads, Kreuzzüge oder Pogrome. Vielleicht könnte man’s hinkriegen, dass die Besatzung eines Schiffes ausschließlich aus Christen, Juden oder Muslimen besteht …«
»Oder aus Mormonen«, warf Don Meisel ein.
Venus nickte. Ihre Angehörigen stammten zwar aus Utah, waren aber keine Mormonen. »Oder aus Mormonen, ja. Aber eine Auswahl nach Religionszugehörigkeit würde eine starke Einschränkung bedeuten und hätte bestimmt heftige politische Kontroversen zur Folge.«
»Was ist mit Polytheismus?«, fragte Susan Frasier. »Wie im Hinduismus zum Beispiel, oder in den alten heidnischen Religionen. Wenn es nicht nur einen Gott gibt, sondern viele Götter, sorgt das für Flexibilität und schafft Raum für Toleranz.«
»Bei den Römern hat’s funktioniert«, erklärte Miriam Brownlee. »In ihrem Pantheon war Platz genug für die Götter all ihrer Provinzen …«
»Die Jehova dann aus ihrem Elend erlöst hat«, sagte Mike Wetherbee.
Miriam lachte über seinen Scherz. Sie war eine schlanke Texanerin, die sich aufgrund eines gemeinsamen Interesses an Humanbiologie und Medizin zu Mike hingezogen fühlte.
»Aber selbst eine monoreligiöse Gruppe würde sich wahrscheinlich aufspalten«, meinte Elle Strekalow. »Denkt an Sunniten und Schiiten, Katholiken und Protestanten …«
Das Gespräch kam in Schwung, und das Interesse der Kandidaten erwachte; sie gaben ihre anderen Projekte auf und begannen mit Hilfe soziodynamischer Softwarepakete zu erforschen, wie sich unterschiedliche religiöse und soziale Konfigurationen in der geschlossenen Umgebung eines Raumschiffs entwickeln würden – rein christliche, muslimische oder buddhistische Crews oder welche mit einer Dachstube voller zankender Götter als Lotsen.
Magnus Howe ließ sie eine Weile arbeiten. Er war dunkelhaarig, konzentriert und noch ziemlich jung, keine dreißig. Angeblich hatte er früher einmal eine Jesuitenschule besucht. In Anbetracht seines trockenen Themas war er ein ziemlich guter Lehrer, und überdies war er jung genug, um die Freude seiner Schüler am Lernen, am Erwerb neuen Wissens zu teilen.
Holle beteiligte sich nicht an diesem spontanen Forschungsprojekt. Ihr Interessensgebiet war die Konstruktion des Schiffes, nicht die Zusammenstellung seiner Besatzung. Aber sie verspürte so etwas wie ein warmes Zugehörigkeitsgefühl, als sie hier mit dieser Gruppe intelligenter, eifriger Kinder zusammensaß. Der Gedanke, dass viele von ihnen wahrscheinlich ausgemustert werden würden, lange bevor die Arche vom Boden abhob, brach ihr das Herz.
Magnus klatschte in die Hände, um sie wieder zusammenzubringen. Er warf einen flüchtigen Blick auf seinen eigenen Laptop, auf dem er ihre Improvisationen beaufsichtigt hatte. »Ich sehe schon, da zeichnen sich einige gute Arbeitsergebnisse ab.
Kommt morgen mit einer Präsentation eurer Resultate wieder.« Er spezifizierte die Aufgabe nicht näher; es würde wie immer Sache der Schüler sein, ihre Ziele richtig zu definieren, die Arbeit zu organisieren und sich darüber klarzuwerden, wie und von wem sie vorgestellt werden sollte. »Konzentrieren wir uns fürs Erste auf die bereits getroffene Entscheidung – Menschen mit starken religiösen Überzeugungen aus der Crew auszuschließen.«
»Was ist mit Atheisten?«
»Die auch.«
»Es wird schwer sein, das durchzusetzen«, meinte Don Meisel. »Ihr wisst doch, wie versessen die Leute darauf sind, ihre Kinder auf der Arche unterzubringen. Wenn das bedeutet, dass man dazu seine Religion für ein paar Jahre verschleiern muss, dann werden sie’s tun.«
»Das käme raus«, sagte Zane Glemp. Er zeigte auf Kameras, die in den Ecken an der Decke angebracht waren und wie immer alles stumm beobachteten.
Holle runzelte die Stirn. »Aber auch wenn wir die Religion ausschließen, können wir die Religiosität nicht zurücklassen.«
Sie griffen diesen neuen Faden begierig auf. Susan Frasier, klein, dicklich, großzügig und beliebt, meldete sich zu Wort. »Vielleicht stimmt das. Vielleicht haben wir Menschen eine tief verwurzelte Neigung zu religiösem Denken. Es könnte eine Folge unseres Bedürfnisses sein, in der Welt um uns herum zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden.«
»Nicht zu vergessen die Theory of Mind – die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, begünstigt die Entwicklung von Religiosität«, sagte Miriam Brownlee.
»Wir nehmen das alles mit in den Weltraum«, sagte Holle. »Ganz gleich, was wir zurücklassen
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