Die Letzte Arche
Betonblocks zur Unterbringung der Kandidaten, aber auch der Techniker, Manager, Ausbilder und anderen Angehörigen des Bodenpersonals, die der potenziellen Crew zahlenmäßig um ein Vielfaches überlegen waren. Als sie nach unten schaute, sah sie den Dreifachzaun, die Gräben, Wachtürme und patrouillierenden Hunde, die sie an diesem eigentümlichen Zufluchtsort vom Rest einer zerbröckelnden Welt abschotteten.
Der Osthimmel drüben zu ihrer Rechten wurde heller, und sie hatte einen großartigen Ausblick auf das von den massigen Rockies umschlossene Tal von Gunnison. Ihr Blick wurde von der Startkonfiguration der Orion angezogen, einem komplexen, in Scheinwerferlicht getauchten Block. Sie war zehn Kilometer von dem Schiff entfernt, und sie konnte die Traube der Unterstützungseinrichtungen drumherum erkennen, hässliche, funktionale Betonbauten mit dem Lichtschein von Schotterstraßen, die sich zwischen ihnen dahinschlängelten. Das war die Zone, wie sie das Gelände mittlerweile nannten, das zwei Kilometer durchmessene Startzentrum mit dem monströsen Raumschiff in seinem Herzen. Die alte Stadt Gunnison selbst lag etwas abseits im Osten, rechts von der Startanlage. All dies wurde von einer größeren, gesicherten Einfriedung umschlossen, die das Hinterland umgab, wie die Militärplaner es nannten, eine Konzentration von Industrieanlagen mit einem Durchmesser von sechzehn Kilometern. Überall krochen Fahrzeuge umher; die Scheinwerfer der Konvois waren wie Juwelenketten, und wenn sie das Ohr ans Glas legte, konnte sie das Dröhnen starker Motoren
hören. Dort wurde vierundzwanzig Stunden am Tag und sieben Tage die Woche gearbeitet, und so ging es nun schon seit Monaten.
Mel hatte nur Augen für die Arche selbst. »Schau dir diesen Vogel an.«
Holle schlang die Arme um seine Taille. »Und er gehört uns.«
»Oder er wird uns gehören. In einer Woche.«
Es sah Mel nicht ähnlich, so früh auf den Beinen zu sein. Im Allgemeinen schlief er wie ein Murmeltier; er war lange genug beim Militär gewesen, um zu lernen, wie man jede sich bietende Gelegenheit nutzte, um eine Mütze Schlaf zu bekommen. »Alles in Ordnung mit dir heute Morgen?«, fragte sie.
»Glaub schon. Ist wohl bloß die wachsende Anspannung.«
»Diese verdammten Uhren, die überall die Sekunden wegticken. «
»Und noch was anderes. Spürst du’s nicht?«
»Was denn?«
»Euphorie«, sagte er. »Ich glaube, so nennt man das. Fühlt sich an, als wären wir das Zentrum der ganzen Welt. Wir sind jung, fit, bereit, ins All zu fliegen und zu tun, wozu wir unser ganzes Leben lang ausgebildet worden sind. Glaub nicht, dass ich mich jemals besser fühlen werde. Gordo Alonzo erzählt ja immer, wie es für die Shuttle-Crews vor dem Raumflug war. Manche Dinge ändern sich wohl nie.«
Er hatte Recht. Alles war gesteigert, als wäre es realer – selbst jetzt: die Wärme von Mels Haut an ihrer Wange, das Kratzen des groben Teppichs unter den Füßen, die blinkenden Lichter der schlaflosen Industrielandschaft vor ihr. »Ja. Wir sind voll auf Adrenalin. Ich werde wahrscheinlich eine Woche lang schlafen, sobald wir in dem verdammten Schiff sind.«
Er drehte sich um und nahm sie in die Arme. Sein Gesicht lag im Schatten, als er auf sie herunterschaute. »Bereust du irgendwas? «
»Was zum Beispiel?«
»Tut’s dir nicht leid, dass wir nicht versucht haben, ein Kind zu kriegen?«
Viele der Kandidatinnen hatten das in den letzten Wochen versucht. Einige hatten Erfolg gehabt, darunter Susan Frasier, die das Kind ihres langjährigen Freundes Pablo Mason unter dem Herzen trug, eines Eye-Dees, der sich als Mathe-Genie erwiesen und dank Susan, die mit Engelszungen auf Gordo eingeredet hatte, einen Platz im Bodenteam des Projekts ergattert hatte. Andere hingegen waren schließlich zu krank geworden, um das Trainingsprogramm abzuschließen, und hatten sich dadurch selbst hinauskatapultiert.
»Es hätte unsere Chancen verbessern können.«
»Nein«, sagte Holle mit fester Stimme. »Das haben wir doch schon ausdiskutiert.« Wenn Mel sie geschwängert hätte, wären seine Gene redundant geworden. »Ich hatte nicht vor, dich hierzulassen. Wir können auf der Erde II Kinder bekommen.«
»Erst in acht Jahren.«
Sie zuckte die Achseln. »Ich kann warten.«
Ein Wandpaneel leuchtete auf und piepste leise.
Sie lösten sich voneinander. »Ein«, rief Holle.
Der Bildschirm leuchtete auf und zeigte Alonzos zerfurchtes, tief gebräuntes Gesicht. »… ist eine Endlosschleife.
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