Die Letzte Arche
Die Endauswahl der Crew beginnt um null-achthundert.« In einer Stunde also. »Wenn Sie glauben, dafür infrage zu kommen, begeben Sie sich rechtzeitig zum Crew-Center. Wenn Sie nicht da sind, sind Sie draußen, selbst wenn Sie Neil Armstrong heißen. Ich hoffe, das ist klar. Bringen Sie nur das mit, was Sie brauchen.« Er
schaute auf einen Notizzettel hinab. »Das ist alles.« Ein Flackern, dann begann die Aufzeichnung von Neuem. »Dies ist eine Endlosschleife. Die Endauswahl der Crew beginnt um null-achthundert …«
Mel und Holle sahen sich eine Sekunde lang an. Es hatte keinerlei Vorwarnung gegeben. »Beeil dich«, sagte er.
»Ja.«
Mel lief zur Dusche.
Holle holte ihrer beider Unterwäsche aus den Schränken und schnappte sich ihre rot-blauen Kandidatenuniformen. »Was glaubst du, was er damit gemeint hat: ›Bringen Sie nur das mit, was Sie brauchen‹?«
»Dass wir nicht zurückkommen«, rief Mel aus der Dusche.
»Scheiße.« Aber sie hätte mit so etwas rechnen sollen. Jetzt beginnt also das Endspiel, dachte sie. Sie griff sich Rucksäcke und fing an, das Zimmer nach den Dingen zu durchsuchen, die ihr am kostbarsten waren – Bücher, Tagebücher, Datensticks, Fotos auf Papier, Briefe ihres Vaters, ihr Angel. Was konnte sie auf gar keinen Fall zurücklassen?
Sie hörte das Dröhnen schwerer Motoren, das selbst durch das dicke Fensterglas hereindrang. Als sie nach unten schaute, sah sie gepanzerte Busse halten, die sie zur Startanlage bringen würden. Sie schaute auf eine Uhr. Fünf nach sieben. Sie stopfte aufs Geratewohl Sachen in die Rucksäcke. »Mach mal schneller da drüben in der verdammten Dusche!«
36
Ein Spalier von Fotografen, im Zaum gehalten von aufgereihten Soldaten, wartete auf die Kandidaten, als sie zu zweit und zu dritt mit ihrem Gepäck und in ihren bunten Uniformen, die sich von den tristen Militärfarben abhoben, aus dem Gebäude kamen. Blitzlichter flammten auf, Scheinwerfer leuchteten ihnen ins Gesicht. Es gab sogar kurzen Beifall. Kelly, die sich wie immer in Szene zu setzen verstand, warf mit der behandschuhten Hand ein paar Arche-Schlüsselringe in die Menge. Leute sprangen hoch, um sie aufzufangen. Geblendet von den Blitzlichtern, gewahrte Holle undeutlich eine mürrische Schar von Zuschauern hinter den Gratulanten.
Der Bus fuhr genau um halb acht am Fuß des Gebäudes ab, ein panzerartiges Vehikel mit Raupenketten und winzigen Fenstern. Er reihte sich in einen Konvoi ein, der in flottem Tempo den Sicherheitszaun passierte und dann in Richtung Gunnison fuhr. Das kurze Straßenstück war von Soldaten gesäumt, die im ungewissen Morgenlicht schattenhaft wirkten.
Sie bremsten an einer Kontrollstelle an der Außengrenze des Hinterlands, einem riesigen Kreis aus Zäunen, Gräben und Wachtürmen mit einem Radius von rund acht Kilometern um Gunnison herum. Hier warteten weitere Zuschauer; einige applaudierten, die meisten glotzten nur. Die Sicherheitsmaßnahmen waren penibel und scharf.
Auch die Straße im Hinterland selbst war von einem Drahtzaun
und noch mehr bewaffneten Soldaten gesäumt. Hinter dem Zaun schufteten zivile Arbeitskräfte; sie buddelten Löcher und Gräben auf den freien Flächen und pflanzten hässliche Metalleier in den Boden. Sie legten Minen, sah Holle, pflanzten Tod ins Erdreich, vermutlich im ganzen Hinterland. Vielleicht würde sogar die Straße, auf der sie gerade unterwegs waren, nach ihrer Durchfahrt vermint werden. Nach ihnen sollte niemand mehr kommen. Das war der Sinn und Zweck dieser Vorbereitungen. Sie hatte das Gefühl, dass riesige Türen hinter ihr zuschlugen, eine nach der anderen.
Einen Kilometer von der Arche entfernt wurden sie an einem weiteren Sicherheitszaun angehalten, der die Zone umgab, den inneren Bodennullpunkt mit der Startanlage und der dazugehörigen Infrastruktur. Diesmal stiegen bewaffnete Soldaten in die Busse, überprüften die Ausweise und biometrischen ID-Signaturen der Fahrgäste und fuhren mit ihnen weiter.
Als die Busse vor den großen Türen des Candidate Hilton hielten, war es fünf vor acht. Holle hatte in den letzten paar Jahren so viel Zeit in diesem großen Trainingszentrum verbracht, dass sie sich darin schon fast wie zu Hause fühlte. Hier würden sie in ein paar Tagen die letzten Startvorbereitungen absolvieren. Als die Kandidatinnen und Kandidaten in ihren farbenfrohen Kostümen nun schwatzend und nervös aus ihren Bussen quollen, wollte Holle nur möglichst rasch ins Innere gelangen, um nicht zu spät zu
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