Die letzte Aussage
es ausgesehen, als hätte er es ganz alleine getan.«
»Und wenn sie euch beide neben der Leiche gefunden hätten, hätte es ausgesehen, als hättet ihr beide es gemeinsam getan, stimmt’s?«
Es fällt mir immer schwerer, ruhig zu bleiben. »Nein … nicht deshalb. Es hatte überhaupt nichts mit mir zu tun.«
»Es wäre doch ganz normal, wenn du dich schuldig gefühlt hättest, Tom. Du hast deinen Freund im Stich gelassen, oder nicht? Hättest du dich früher eingemischt, hätte der ganze Streit überhaupt nicht stattgefunden.«
Die Richterin unterbricht ihn und sagt ihm, dass er zuweit gehe. Sie fragt mich, ob es mir gut gehe. Ich trinke einen großen Schluck Wasser und antworte: »Ja.«
»Du hast dich mies und schuldig gefühlt und Arron aufgefordert wegzulaufen, damit euch niemand am Tatort findet?«
»Nein, so ist es nicht gewesen.«
»Arron hat dort bei der Leiche bleiben wollen, war es nicht so? Er hätte der Polizei und den Sanitätern erzählt, was genau passiert ist. Dass Rio ihn angegriffen hatte. Du hast dafür gesorgt, dass er weggelaufen ist.«
»Ja … aber.« Ich flüstere nur noch und verstumme dann ganz, weil es stimmt, dass ich mich schuldig gefühlt und Angst gehabt habe, so wie jetzt auch, aber Arron ist derjenige gewesen, der Rio abziehen wollte, nicht umgekehrt, und ich wollte nur helfen, als ich ihn auf einmal mit dem Messer verletzt habe.
Mein Gott, wir sind alle so blöd gewesen. Wir waren alle schuld daran. Jeder von uns hätte tot sein können. Jeder von uns könnte jetzt auf der Anklagebank sitzen.
Dann fängt er mit dieser Mail an. Die Mail an Claire. Er nimmt sie auseinander, Satz für Satz, aber der Satz, auf den er immer wieder zurückkommt, ist der hier: »Ich bin ein Lügner … Ich lüge die Polizei an.« Ich versuche es zu erklären, aber er wiederholt ihn so oft, dass ich ihn letztendlich anfahre: »Ist ja gut! Sie haben den Satz jetzt oft genug gesagt! Sie haben es alle kapiert!«
»Ja. Allerdings«, erwidert er und setzt sich.
Kapitel 42
Das schwächste Glied
Als Nächstes kommt Mikeys Anwalt dran. Mikeys Geschichte ist einfach. Er ist nicht mal in der Nähe des Parks gewesen. Er war zu Hause und hat Fernsehen geguckt, die Gameshow Das schwächste Glied , um genau zu sein. Ich habe gelogen, ich habe gelogen, ich habe gelogen.
Sein Anwalt pickt sich die Stelle in meiner Aussage raus, wo ich sage, dass Mikey Arron vielleicht Geld gegeben hat, dass es vielleicht etwas mit Drogen zu tun hatte, und er amüsiert sich königlich darüber, was ich für eine blühende Fantasie habe! Ob ich viel Zeit alleine in meinem Zimmer verbringe? Leute von meinem Fenster aus beobachte? Mir Geschichten über sie ausdenke?
Lüger, Lüger, du bist ein Betrüger! Er sagt es nicht wortwörtlich, aber genau das meint er damit.
Mir läuft der Schweiß im Nacken hinunter. Ich habe das ganze Wasser ausgetrunken, das sie mir hingestellt haben, und ich müsste mal pinkeln. Ich rutsche auf dem Stuhl herum und reibe mir die Stirn. Es ist so heiß hier drin. Es kommt mir vor, als würde ich schon ewig hier sitzen.
Mikeys Anwalt setzt sich. Jemand sagt irgendwas mit »Hohes Gericht« … Ich höre es nicht richtig … »Alle erhebensich!«, ruft jemand, und alle Anwälte stehen auf. Dann geht der Bildschirm aus.
»Mittagspause«, sagt die Gerichtsdienerin. »Ich besorge dir ein paar Sandwiches. Du kannst zur Toilette, wenn du willst – gleich über den Flur, aber du musst dem Polizisten draußen sagen, wo du hingehst, und direkt wieder hierher zurückkommen. Du darfst mit niemandem über die Verhandlung reden.«
Ich wanke in Richtung Tür, quetsche mich an dem Polizisten vorbei, der sie von außen bewacht, und gehe in Richtung Männerklo. Dort schließe ich mich in einer Kabine ein.
Es kommt mir vor, als seien nicht mehr als fünf Minuten vergangen, als jemand an die Tür klopft. »Ty?« Es ist Patricks Stimme. »Ty, du musst jetzt kommen. Es geht gleich wieder weiter.«
Ich lehne den Kopf an die Tür.
»Komm schon, Ty. Es wird schon alles gut werden.«
Ich atme ein paarmal durch und mache die Tür auf. Da steht Patrick und schaut auf seine Uhr.
»Patrick, ich kann nicht … ich kann nicht … er hat gesagt …«
Aber Patrick wackelt mit dem Zeigefinger und sagt: »Du weißt, dass wir nicht darüber reden dürfen. Du musst sofort wieder da rein, bevor die Richterin zurückkommt. Und ich muss wieder in den Zuschauerbereich. Wasch dir schnell noch mal übers Gesicht … so ist’s gut …
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