Die letzte Aussage
Ihre Erwägungen nicht von Bedeutung ist«. Zu mir sagt sie: »Tom, hast du verstanden, was ich gerade gesagt habe?«
Ich nicke. Ich akzeptiere es keine Sekunde lang, aber ich streite mich nicht mehr.
Sie nickt Jukes’ Anwalt zu. »Fahren Sie fort.« Genau das tut er.
Als er fertig ist, glaube ich, dass die Sache damit erledigt sei. Ich habe es durchgestanden. Aus und vorbei. Aber dann steht der erste Anwalt wieder auf. Der von der Staatsanwaltschaft. Und er fängt wieder von vorne an. Vielleicht muss ich ja bis in alle Ewigkeit hierbleiben. Vielleicht haben sie nichts anderes vor, als mich immer und immer wieder zu befragen.
Er redet jetzt von Wahrheit und Lügen, will von mir wissen, was man mir in der Schule beigebracht hat. Er fragt mich, ob ich in die Kirche gehe … was die katholische Religion zum Thema Lüge sagt. Er lässt mich sagen: »Ja, ich kenne den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge. Ganz bestimmt.«
»Diese einstweilige Verfügung, die mein verehrter Kollege erwähnt hat – hast du davon gewusst? Kannst du dir vorstellen, worauf es sich bezieht?«
»Ich kann nur raten«, antworte ich. »Als ich noch klein war, hatte meine Mutter einen Freund, der mich geschlagen hat, und sie hat er auch geschlagen. Vielleicht war er das. Jukes’ Onkel.«
»Kennst du seinen Namen?«, fragt er.
»Ich weiß nur, dass er Chris hieß und Klempner war, mehr weiß ich nicht«, antworte ich.
Dann fragt er mich wieder nach dem Augenblick, an dem Arron und ich weggerannt sind. Was soll ich sagen. »Man kann nicht richtig nachdenken, wenn man da steht und ein Toter liegt vor einem«, antworte ich. »Ich habe das Falsche getan. Es tut mir leid.«
Das scheint’s jetzt zu sein. Das rote Licht der Kamera geht aus und der Bildschirm auch. Ich sitze an meinem Tisch, starre auf meine Hände und frage mich, was jetzt passiert. Warten wir auf das Urteil, bis Arron für schuldig erklärt wird oder auch nicht? Geht der Bildschirm noch mal an? Dann geht die Tür auf und Patrick kommt rein. Die Gerichtsdienerin übergibt uns einem Polizisten, der uns zu einer Tür bringt, hinter der ein Polizeiwagen wartet.
Als wir losfahren, schaue ich nach oben, um den Engel – die Göttin Justitia – zu sehen, aber sie ist zu weit weg. Aus diesem Winkel kann ich sie nicht sehen.
Im Auto sagt mir Patrick, dass ich mich gut verhalten habe, außer als ich ihnen meine Narbe gezeigt habe. »Damit hast du beinahe die gesamte Verhandlung zum Abbruch gezwungen«, sagt er. »Als die Geschworenen draußen waren, hat der Verteidiger argumentiert, nach deinem Auftritt könne sein Klient unmöglich noch fair behandelt werden. Es war gut, dass du rechtzeitig damit aufgehört hast.«
»Das wollte ich gar nicht.«
»Ich weiß. Aber es gibt für alles den rechten Zeitpunktund den rechten Ort. Wie auch immer, es dauert bestimmt eine Woche oder länger, bis ein Urteil gefällt wird. Solche Sachen brauchen ihre Zeit und sie müssen sich noch sehr viele Aussagen anhören.«
»Ach so.«
»Ty«, fügt er hinzu. »Was die einstweilige Verfügung angeht … Nickis Freund …«
Ich schüttele den Kopf. Darüber will ich nicht reden. Aber ich frage mich immer wieder, ob Nathan das eine oder andere nicht doch falsch verstanden hat. Vielleicht war es gar nicht wegen meiner Mum, dass Jukes mich in die Bande aufnehmen wollte. Oder vielleicht war es doch wegen ihr, aber aus einem anderen Grund. Rache.
Patrick sieht mich besorgt an, sein Gesicht ist so ernst, dass es mir fast wehtut, seinen Blick zu erwidern. Ich schaue zum Fenster raus, aber die Regentropfen an der Scheibe lassen London verschwimmen. Es sieht aus, als würden die Straßen weinen.
»Dein Angriff auf Arron scheint in seiner Aussage nicht vorzukommen«, sagt Patrick. »Er stellt sich als Rios Opfer dar. Vielleicht war es ein bisschen zu viel, von den Geschworenen zu erwarten, dass sie glauben, dass er auch noch von dir bedroht wurde. So ein großer, kräftiger Junge. Es passt, dass er sagt, du hättest die Idee mit dem Weglaufen gehabt, aber er will, dass die anderen glauben, alle seine Verletzungen hätte ihm der Junge beigebracht, der ihn angeblich ausrauben wollte.«
»Wie hat er ausgesehen? Arron?«, erkundige ich mich.
»Mürrisch«, antwortet Patrick. »Meistens hat er nachunten geschaut. Seine Mutter saß direkt vor mir und er hat nur zweimal kurz zu ihr herübergeschaut.«
»Waren seine Schwestern da? Zwei kleine Mädchen?«
»Nein. Aber noch ein Bruder, glaube ich. Wie auch immer,
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