Die letzte Aussage
Putz dir die Nase, wir sehen uns dann später.«
Dann ist er weg und ich bin wieder allein.
Ich setze mich an den Tisch. Der Bildschirm wird wieder hell. Ich sehe, wie sich die Anwälte unterhalten und ihre Unterlagen hin und her schieben. Dann höre ich jemanden sagen: »Bitte erheben Sie sich«, und alle stehen auf. Die Richterin ist wieder da. Es geht weiter.
Jukes’ Anwalt. Ein kleiner Dicker mit schwarzem Bart. Er hat ein fettes Grinsen im Gesicht. Er sieht mich an, als wäre er gerade in einen Donut-Laden spaziert und ich wäre ein Schoko-Donut mit bunten Zuckerstreuseln drauf. Er reibt sich die Hände.
»Guten Tag, Tom«, sagt er. »Lass uns noch einmal darüber reden, was du im Park gesehen hast.«
Und schon kauen wir die ganze Sache abermals durch. Zum vierten Mal. Er will mich auf irgendwelche Details festnageln – wer stand wo und wer hat wem was getan.
Es fällt mir schwer, mich genau an das zu erinnern, was ich bereits gesagt habe, und ein paarmal gewinnt er: »Entschuldige, Tom, aber hast du nicht gesagt, Mr White habe links von Mr Mackenzie gestanden, als du dich mit meinem geschätzten Kollegen Mr Belweather unterhalten hast, oder irre ich mich da?«
»Ähm, ja … ich meine, nein … ich meine, tja, es hängt davon ab, aus welcher Richtung Sie schauen.«
Und so geht es weiter. Er lässt mich jede Einzelheit noch einmal erzählen, vom Messergefuchtel bis zum Stich und wie ich Arron überreden wollte wegzulaufen.
Dann sagt er: »Deine Anschuldigungen meinem Klienten gegenüber waren doch Bestandteil einer schon lange anhaltenden Fehde zwischen euren Familien, oder?«
Was?
»Äh, nein … Ich weiß nicht, was Sie meinen«, antworte ich.
»Seit deine Mutter vor neun Jahren eine einstweilige Verfügung gegen Christopher Richardson, den Onkel meines Klienten, erwirkt hat.«
»Davon weiß ich nichts«, sage ich, und das stimmt auch. Ich weiß nichts von einer einstweiligen Verfügung. Aber ich denke … Herr im Himmel , Chris, der Klempner? Ist Jukes’ Onkel? Weiß Gott, was ich jetzt für ein Gesicht mache!
»Bist du dir da sicher?«, fragt er. »Wir wollen hier die Wahrheit hören, Tom, keine von deinen Geschichten.«
»Ja«, antworte ich, »ich bin mir sicher. Ich bin mir absolut sicher, hinsichtlich allem, was ich Ihnen gesagt habe.«
»Absolut sicher?«, wiederholt er höhnisch.
Ich halte es nicht mehr aus. Ich schiebe den Stuhl vom Tisch zurück und springe auf. Ich ziehe mir das Hemd aus der Hose und zerre es so weit wie möglich hoch.
»Setz dich bitte wieder hin!«, sagt die Richterin, aber ich höre ihr nicht zu. Ich drehe mich zur Seite und halte meine Narbe in die Kamera.
»Setz dich!«, sagt die Gerichtsdienerin, aber ich schreie: »Das hat er getan, Ihr Klient. So hat er versucht, mich zum Schweigen zu bringen. Und Alistair ist erschossen worden und meine Gran haben sie krankenhausreif geschlagen. Sie haben unsere Wohnung angezündet. Warum sollten sie das tun, wenn ich doch sowieso lüge? Sagen Sie mir das!«
Ich dachte, Jukes’ Anwalt würde wütend aussehen, aber er grinst nur schmierig, als hätte ich ihm gerade ein Weihnachtsgeschenk überreicht.
»Verehrte Frau Richterin«, sagt er, »diese Rechtsfrage würde ich gerne in Abwesenheit der Geschworenen erörtern.«
Ich setze mich wieder auf den Stuhl. Ich nehme das Glas und trinke einen Schluck Wasser, aber meine Hand zittert so sehr, dass ich etwas davon auf mein Hemd schütte. Ich sehe, wie die Gerichtsdienerin den Kopf schüttelt.
Die Geschworenen marschieren im Gänsemarsch aus dem Saal. »Tom«, sagt die Richterin, »bleib bitte sitzen, solange du deine Zeugenaussage machst.« Dann wird der Schirm dunkel.
Die Gerichtsdienerin macht leise »tststs«, füllt aber mein Glas nach und sagt dann: »Hör mal, mein Junge, du musst dich beruhigen. Iss dein Sandwich, es tut dir bestimmt nicht gut, wenn du dein Mittagessen ausfallen lässt, und der Tag wird sicher noch lang.« Also würge ich ein paar Bissen glitschigen Schinken und baumwolltrockenes Brot runter, trinke ein paar Schluck Wasser dazu und frage mich, was jetzt wohl im Gerichtssaal vor sich geht.
Sie lassen sich ewig Zeit. Anderthalb Stunden später geht der Bildschirm wieder an. Meine Wut ist so tot wie die Scheibchen vom Schwein in meinem Sandwich. Ich will nur noch, dass es vorbei ist. Sollen sie doch über mich sagen, was sie wollen. Es ist mir jetzt egal.
Die Richterin weist die Geschworenen an, meinen Temperamentsausbruch zu ignorieren, »der für
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