Die letzte Aussage
Haaren. Sie riechen nach Rauch und Eisen. Das ist sehr seltsam, jedenfalls nicht das, was ich erwartet hätte, dann gebe ich sie Gran zurück, die sie an sich drückt und sagt: »Nun, mein kleiner Liebling, was hältst du von deinem großen Bruder?« Aus Alyssas Mundwinkel rinnt ein bisschen Sabber.
»Wie geht’s Nicki?«, fragt Patrick, und Gran steigen wieder die Tränen in die Augen. Aber sie sagt, dass die Ärzte meinen, dass es ihr bald wieder gut gehe, und alles sei stabil und dass sie in ein paar Stunden wieder bei Bewusstsein sei.
»Vielleicht wohnt Ty noch ein paar Tage bei euch«, sagt sie. »Ich möchte nicht, dass er allein in dieser Wohnung ist, solange ich hierbleiben muss. Ich rufe Emma an, damit sie ein paar Wochen zurückkommt, aber bis dahin …«
»Wir kümmern uns schon um Tyler, mach dir keine Sorgen«, sagt Patrick, »aber ich glaube nicht, dass noch einer von uns so spät in der Nacht so weit fahren sollte. Vielleicht gibst du uns einen Schlüssel, dann bleibe ich dieseNacht mit ihm in der Wohnung. Außerdem können wir so Nicki morgen früh gleich besuchen.«
Gran fängt sicher gleich wieder an zu heulen, und das kann ich jetzt wirklich nicht mehr ertragen, also beuge ich mich zur ihr rüber, gebe ihr einen Kuss und sage Tschüss zu Alyssa. Alyssa sieht mich an, sieht mir wieder direkt in die Augen, und mir wird fast schwindelig bei dem Gedanken, dass ein so winziges Wesen schon so aufgeweckt sein kann. Meine Schwester. Meine Schwester Alyssa.
»Meine Mum wird doch wieder, oder?«, frage ich Patrick, als wir aus dem Krankenhaus rausgehen, und er antwortet: »Ganz bestimmt. So wie es sich anhört, haben sie gerade noch rechtzeitig eingegriffen.«
Meine Mum wird wieder. Es muss einfach so sein. Ich will nicht einmal daran denken, dass sie sterben könnte.
Ich konzentriere mich auf Alyssa. Ihr Leben fängt gerade erst an und sie hat bereits ihren Vater verloren. Sie kann ihn nicht wiederfinden, so wie ich meinen gefunden habe. Er ist ein für alle Mal weg.
Umso mehr braucht sie einen richtigen großen Bruder. Niemand wird ihr etwas antun, ihr wird nichts Schlimmes passieren, weil ich immer da bin, um mich um sie zu kümmern.
Bis jetzt habe ich mich beim Erwachsenwerden nicht immer vorbildlich angestellt. Aber jetzt, wo ich ein Bruder bin, muss ich mich wohl endlich zusammenreißen.
Kapitel 44
Verbindung
Arrons Augen sprühen vor Hass. »Das alles ist deine Schuld«, sagen sie. »Du hast mich im Stich gelassen.«
Ich schiebe die Daily Mail über den Tisch zu Gran zurück. Ich will es nicht lesen. Mir reicht es, wenn ich weiß, dass Arron und Jukes und Mikey alle des Mordes für schuldig befunden wurden. Auf besondere Anordnung der Richterin darf Arrons Name in der Presseberichterstattung erwähnt werden, weil der Fall so schwerwiegend sei. Sein Foto ist sogar auf Seite elf der Mail abgedruckt.
Sie sind alle in einer Jugendstrafanstalt weggesperrt. Arron kommt erst in vielen Jahren wieder raus. Ob er sich dann an mir rächen will?
Gran blättert die Seiten durch. »Es gab mehr Beweise gegen sie, als wir wussten«, sagt sie. »Hier steht viel über ihre Gang. Wer hätte gedacht, dass Arron sich mal in solche Sachen reinziehen lässt? Schrecklich. Außerdem sind sie von einer Überwachungskamera aufgenommen worden, als sie in den Park gegangen sind. Kein Wunder, dass die Geschworenen dir geglaubt haben. Sie haben den Unterschied zwischen einem netten, ehrlichen Jungen und einer Verbrecherbande erkannt.«
»Sieht so aus«, erwidere ich.
»Guck mal, hier ist ein Interview mit den Eltern des Jungen. Rios Eltern. Sie sagen, dass sie dir für vieles dankbar sein müssen.«
»Ich seh’s mir später an, Gran«, sage ich. »Ich muss noch jede Menge Hausaufgaben machen.«
Sie legt die Zeitung vor mich hin und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. »Lies es lieber gleich. Du kannst stolz auf dich sein. Du musst nicht deine ganze Zeit mit Hausaufgaben verbringen, mein Liebling. Du arbeitest schon seit fünf Uhr morgens. Ich habe das Licht in deinem Zimmer gesehen, als ich Alyssas Fläschchen zubereitet habe. Jetzt mache ich dir erst mal eine schöne Tasse Tee.«
Sie stellt den Kessel auf und ich starre auf die Zeitung. Auf das Bild von Rios Familie. Die Worte springen mir förmlich entgegen. Goldenes Herz. Bandenwesen. Kaputtes England.
Rios Mutter sagt, dass er wirklich ein lieber Junge gewesen sei. Dass er seine Musik geliebt habe. »Er ist einfach in schlechte Gesellschaft
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