Die letzte Chance - Final Jeopardy
Schlaf war nicht zu denken. Ich setzte mich auf und machte das Licht wieder an, stieg aus dem Bett und schlüpfte in einen Bademantel, der zwar nicht sexy, dafür aber kuschelig warm war. Ich war wieder in diese Eine-Beziehung-ist-zu-Ende-Neurose verfallen, in der ich für den Rest meines Lebens nie mehr sexy Kleider und Unterwäsche brauchen würde. Nie wieder würde mich - in meiner schönsten Reizwäsche - ein anderer, genausowenig vertrauenswürdiger Mann sehen. Ich geisterte von Zimmer zu Zimmer und machte überall das Licht an. Ich hielt nach irgendeiner Ablenkung Ausschau, die mich beschäftigen könnte, bis mich hoffentlich der Schlaf überkommen würde.
Ich ging in die Küche und machte mir eine Tasse heiße Schokolade. In dieser Oktobernacht war es zwar viel zu warm dafür, aber ich erinnerte mich vage daran, daß meine Mutter immer warme Milch als Schlafmittel empfohlen hatte, also dachte ich, ich könnte es ja mal probieren. Dann setzte ich mich an den Eßtisch, um das Kreuzworträtsel der Montag- Times zu lösen. Es war so lächerlich leicht, daß ich damit schon nach einer knappen Viertelstunde fertig war. Und leider erinnerte es mich daran, daß diese Woche noch weitere vier lange Tage hatte.
Schließlich begab ich mich ins Wohnzimmer und in die gemütliche Ecke, in der Fernseher und Stereoanlage standen. Ich kuschelte mich in einen Sessel, legte die Füße auf die Couch und machte den Fernseher an, um zu sehen, welche Wiederholung eines alten Schwarzweißfilms mich vielleicht in den Schlummer wiegen könnte. Nach Tagen hatte ich zum erstenmal wieder Glück, auch wenn es bedeutete, daß ich die Augen keine Minute schließen würde. Auf einem der Kabelkanäle lief Berüchtigt, mein Lieblingsfilm aller Zeiten. Ich hatte um halb drei eingeschaltet, hatte also die ersten paar Szenen verpaßt, aber ich hatte
diesen Hitchcock-Film schon so oft gesehen, daß ich den Text praktisch auswendig konnte. Da waren nun die so herrlich jugendliche Ingrid Bergman und der umwerfende Cary Grant. Sie befanden sich bereits in Rio, und sie war mit dem gefährlichen Plan einverstanden, den sinistren Claude Rains zu verführen und schließlich in den Luxuspalast zu ziehen, in dem er mit seiner furchtbaren Mutter wohnte. Ingrid und Cary wagten es, ihre Einsatzbesprechungen in aller Öffentlichkeit abzuhalten: im Park mitten in der Stadt, wo sie einander scheinbar zufällig hoch zu Roß begegneten. Ich tauchte ein in Hitchcocks phantastisches Labyrinth von Doppelspiel und Verrat, von prinzipientreuen Spionen und dämonischen Nazis. Ich staunte erneut darüber, wie bereitwillig Ingrid Carys Herausforderung annahm und tatsächlich den Feind heiratete, obwohl sie sich so sehr nach Carys Liebe sehnte. Wie immer verfolgte ich gespannt den Champagnerempfang und die fesselnde Szene im Weinkeller mit dem fehlenden Schlüssel und der zerbrochenen Flasche. Und als der sehr große, helle Mond vor meinem Fenster im Tageslicht zu verschwinden drohte, wollte ich nichts weiter, als genauso wie die getäuschte Ingrid gerettet werden: von Cary, der mich in seine Arme riß, mit mir die große Treppe hinunterteilte und aller Gefahr entkam. Genau das brauchte ich - eine Flucht vor meinen Schwierigkeiten in ein Filmleben voller Intrigen und Romantik und mit Liebenden, die nicht wissen, ob sie einander trauen können. Es war wie ein Stärkungsmittel.
Jetzt war ich völlig zerschlagen. Es war fast fünf Uhr morgens, und nach einem endlosen Warenangebot wie Veg-O-Matics, Ginzo-Messern und Bauchtrimmgeräten machte ich den Fernseher aus. Nichts hatte mich weiter gefesselt, und resigniert fand ich mich mit der Tatsache ab, daß dies eine durchwachte Nacht werden würde - ich war viel zu nervös, um schlafen zu können.
Ich blätterte im letzten New Yorker und hoffte, einen langen Artikel über den aktuellsten Washingtoner Skandal vorzufinden, stieß aber nur auf eine langweilige Abhandlung über Ozonwerte im brasilianischen Regenwald. Das Summen der mit dem Telefon in der Pförtnerloge verbundenen Sprechanlage in meiner Küche hob mich fast aus dem Sessel, als es wenige Minuten später mein Dösen durchbrach. Das würde Jed sein. Sollte ich ihn
hereinlassen, obwohl ich allein war? Das Summen hörte nicht auf, aber ich blieb bei meinem Entschluß, den Hörer nicht abzuheben. Ich ärgerte mich, daß der Pförtner meine Anweisung, ihn nicht hereinzulassen, ignoriert hatte, und nahm an, daß er ihm wohl. ein paar große Scheine in die bereitwillig
Weitere Kostenlose Bücher