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Die letzte Dämmerung: Roman (German Edition)

Die letzte Dämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Die letzte Dämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Connor
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telepathischen Verbindung erzählen. Solchen Kram schien er toll zu finden. Von ihnen allen würde er wohl am besten in der gewandelten Welt zurechtkommen, in der es alle möglichen Abenteuer zu bestehen, verrückte Dinge zu sehen und Magie zu lernen geben würde.
    »Ich gehe nicht nach oben.« John lehnte sich an die Wand und gab Tru Gelegenheit, an seine andere Seite zu kommen.
    »Nicht?«, fragte Jenna.
    »Nein. Nach draußen. Ich will die Luft riechen. Dann gehe ich wieder ins Bett. Versprochen.«
    Sie tauschte einen Blick mit Tru, der mit den Schultern zuckte. Zusammen kämpften sie sich bis ins Erdgeschoss vor und dann den Flur entlang. Jenna hatte kein Verständnis für Masons Bedürfnis, nach draußen zu kommen, es sei denn, er hatte das Gefühl, dort unten lebendig begraben zu sein. Die Wölfin in ihr konnte das nachvollziehen. Sie wollte lange laufen, ohne in Gefahr zu sein, gefressen zu werden, einfach das süße Knirschen des Schnees unter ihren Pfoten, den Wind in ihrem Pelz und vielleicht ein Kaninchen zwischen den Kiefern spüren. Ihr knurrte der Magen.
    »Das habe ich gehört«, sagte John. »Gib mir nur eine Minute, in Ordnung?«
    Der Junge öffnete die Schlösser der Außentür und stieß sie weit auf. Der Wind heulte in den Flur, aber er trug einen frischen Geruch mit sich. Jenna wusste nicht, ob das etwas mit dem Wandel zu tun hatte oder mit der Auflösung des Rudels, das ihre Wälder durchstreift hatte, aber die Luft des frühen Morgens fühlte sich auf ihrer Haut gut an, frisch, belebend und echt.
    Der blutige Schnee war von einer jungfräulichen neuen Schicht bedeckt, die im fahlen Sonnenlicht funkelte, als wäre sie mit gemahlenem Kristall überzogen. Der Himmel leuchtete so blau wie das Wasser der Karibik. Jenna hatte die Inseln früher einmal besucht, und dieser wolkenlose Himmel brachte ihr die Erinnerung an Wärme und Sonnenschein zurück trotz der frostigen Kälte.
    John trat nach draußen und sah zum Wald hinüber, wo die Bäume immer noch düster und verlassen dastanden. Nichts rührte sich hinter ihnen. Jenna hob den Kopf und schnupperte, aber sie konnte nichts Ungesundes in der Brise riechen. Und aus weiter Ferne klang der trillernde Ruf des Zaunkönigs zu ihnen herüber, ein Zeichen, dass das Leben zurückkehrte. Sie warf einen Blick auf John und erkannte an seinem unveränderten Gesichtsausdruck, dass er den Gesang nicht hören konnte. Wenn in ihm latente Gestaltwandlerfähigkeiten schlummerten, hatte er noch nicht den Funken gefunden, der diese verstärkten Sinne zum Leben erwachen ließ. Ihre Wolfsohren waren noch immer im Vorteil.
    »Wie ist es?«, fragte Tru.
    »Still«, antwortete John.
    Tru legte den Kopf schief; seine Augen weiteten sich. »Bist du dir da sicher?«
    Der Junge hatte sich eindeutig verändert.
    Gänse in Keilformation flogen über sie hinweg und stritten sich lautstark, das erste Natürliche, was Jenna seit vielen Monaten sah. Staunend beobachtete sie ihren Flug, bis ihre Körper zu winzigen schwarzen Punkten geworden waren. In der gewandelten Welt würde es wieder echte Tiere geben. Ganz gleich, wo sie sich während der schlimmsten Zeit versteckt hatten, jetzt waren sie zurück.
    »Der Frühling wird kommen«, flüsterte Tru.
    Jenna stieß den langen Atemzug aus, den sie zurückgehalten hatte. Sie waren nicht in einem ewigen Winter gefangen. Die Jahreszeiten waren nicht von der neuen Weltordnung umgestoßen worden. Das tröstete sie. Manche Dinge waren unveränderlich, etwa, dass der Frühling auf den Winter folgte.
    »Oder wie sehr ich dich liebe«, murmelte John gegen ihre Schläfe. »Wir schaffen das schon.«
    Der Mann machte keine leeren Versprechungen.
    Sie kehrten langsam nach drinnen zurück. Jenna lächelte, als Tru abschloss. Er half ihr, John zu stützen, als sie wieder den Flur entlanggingen, aber ihr Gefährte lehnte sich nicht mehr so schwer an sie. Herumlaufen, bis es einem besser ging. Klar. Vielleicht hatte Mitch mit all den Binsenweisheiten ja doch recht gehabt.
    Danke, Mitch. Dad.
    Zum ersten Mal war sie dankbar. Vielleicht würde sie wirklich einmal Das Dunkle Zeitalter nach Barclay schreiben, wenn sie denn je genug Papier auftrieb. Ihr Leben lang hatte sie nur normal sein und einen Vater haben wollen, der zu seiner Familie nach Hause zurückkehrte. Das würde sie nie bekommen, aber jetzt wollte sie es auch nicht mehr. Sie war einfach glücklich, am Leben zu sein. So viel war schon verloren gegangen, und viel mehr würde noch verloren gehen.

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