Die letzte Dämmerung: Roman (German Edition)
Gesicht Spuren von Entbehrungen an, die sie selbst nie erlebt hatte. »Ist es ihm gelungen?«
Sein Blick wurde abwesend. »Ich weiß es nicht.«
6
Fünf Tage vergingen wie im Traum. Mason hatte nie an die wissenschaftliche Erkenntnis glauben können, dass selbst die kompliziertesten Träume nur Minuten dauerten. Anscheinend verlangsamte sich die Zeit im Unterbewusstsein – aber in der Hütte kam sie zu einem gottverdammten Stillstand. Fünf Tage, in denen er auf engem Raum mit Jenna zusammenlebte. Fünf Tage des Schweigens, des Essens, mit nur einem primitiven kleinen Badezimmer. Fünf Tage, in denen er auf dem Sofa wach lag, während sie auf dem Dachboden schlief.
Was würde sie beide schneller umbringen – die Kreaturen oder die Langeweile?
Mason saß am Küchentisch und fädelte ein abgenutztes Stück Gaze in den Lauf seiner AR-15, um das Gewehr zum ersten Mal zu reinigen – zum ersten Mal an diesem Tag.
Morgen würde er, sofern er dann noch atmete, das verdammte Ding schon wieder reinigen.
Währenddessen saß Jenna im Ohrensessel, die Beine seitlich unter sich gezogen und ein offenes Taschenbuch auf die Knie gestützt. Die schimmelige kleine Bibliothek auf den Einbauregalen neben dem Kamin hatte ihre erste und einzige Leserin gefunden.
Er wollte sie dafür hassen, dass sie so zufrieden wirkte, aber er brauchte sie. Zumindest hatte Mitch behauptet, dass dem so wäre. Alles andere, was der alte Mann vorhergesagt hatte, war im Laufe langer Jahre eingetroffen, und so geduldete Mason sich. Außerdem war es ihm lieb, sich nicht mit ihr streiten zu müssen – immerhin nicht mehr, seit sie herausgefunden hatte, dass er ihren Schrank zu Hause geplündert und Kleider für die Flucht in die Wälder eingepackt hatte. Nein, das war unschön gewesen. Aber seitdem hatten sie eine Art Waffenstillstand geschlossen.
Nicht schlecht. Nur noch mehr Warten. Der ganze verdammte Winter würde so sein.
Bis die Stille von etwas durchbrochen wurde, das er nie wieder zu hören erwartet hatte: von anderen Leuten.
»Was war das?« Jenna hob den Kopf von ihrem Buch. Ein geistesabwesender Ausdruck trat auf ihr Gesicht, und die grünen Augen blickten nach innen.
»Bleib hier«, sagte er, ließ das Sturmgewehr liegen, nahm aber seine Neun-Millimeter-Pistole.
»Wohin sollte ich auch gehen?«
Aber hörte sie auf ihn? Nein. Sie folgte ihm zur Haustür, wo die Rufe und Schreie lauter und deutlicher geworden waren. Er hörte den Namen Robert und das unverkennbare Knarzen eines männlichen Jugendlichen im Stimmbruch.
Mason packte den Griff der Pistole und entsicherte sie. »Wer ist da?«
»Hilfe! Hallo? Lass uns doch jemand rein!«
Ein misstönendes Durcheinander folgte; alle bettelten um denselben Gefallen. Er hatte gewusst, dass das hier geschehen konnte, hatte aber nicht damit gerechnet, dass es so herzzerreißend sein würde. Die Tatsache, dass er sich nun wahrhaftig vor eine solche Wahl gestellt sah, lastete auf seiner Brust. Mit zugeschnürter Kehle und schmerzenden Fingern sicherte er die Pistole wieder und kehrte zu seinem zerlegten Gewehr zurück.
Jenna blieb an der Tür stehen und starrte ihn an. Da wären wir wieder.
»Was …« Sie sah zwischen ihm und der hölzernen Barriere hin und her, die sie vom Bösen der neuen Welt und von den Menschen der alten trennte. »Was tust du da?«
»Ich reinige mein Gewehr.«
»Was ist mit denen da?«
»Sie sind auf sich gestellt«, sagte er mit Bedacht. »Sie werden Zuflucht im Wald finden. Oder nicht. So oder so, es ist nicht unser Problem.«
»Ich kann das einfach nicht glauben.« Ihr blonder Pferdeschwanz fegte durch die Luft, als sie den Kopf schüttelte. »Was, wenn Mitch dir das angetan hätte? Wenn er ›Hau ab, Junge‹ gesagt hätte?«
»Das hat er nicht, und dafür schulde ich ihm etwas.«
All seine Argumente waren hübsch und ordentlich aufgereiht. Er hatte sie jahrelang geübt. Sie hatte keine Chance. Und diese Leute auch nicht.
»Komm.« Sein Ärger ließ ihn schärfer klingen, als er es eigentlich wollte. »Ich bin nur dir und mir verpflichtet.«
»Ja, wegen irgendeines Versprechens, das du abgelegt hast. Klar.« Sie runzelte die Stirn und saugte die Unterlippe unter eine Reihe gerader weißer Zähne, sodass sie eher wie ein schüchternes Kind, nicht wie eine Frau in kampfeslustiger Stimmung aussah.
»Wir öffnen die Tür nicht«, sagte er ausdruckslos.
»Oh doch, das tun wir! Das sind Menschen. Weißt du noch, Menschen? Da draußen ist ein Junge. Ich kann ihn
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