Die letzte Dämmerung: Roman (German Edition)
den Mississippi überquert hatten. Nichts würde mehr so sein wie zuvor.
Alte Worte kamen ihr in den Sinn. Und der Wolf wird beim Lamm weilen und der Leopard beim Böckchen lagern. Das Kalb und der Junglöwe und das Mastvieh werden zusammen sein, und ein kleiner Junge wird sie treiben. Oder ein kleines Mädchen? Jenna erinnerte sich an das, was Mitch geschrieben hatte. Sie hätte den Brief jetzt gern noch einmal gelesen. Vielleicht enthielt er noch mehr Informationen, die sie gebrauchen konnte. Aber das musste warten, bis sie diesen Schlamassel hier in Ordnung gebracht hatten.
Jenna lehnte sich gegen die Küchentheke und musterte die Gruppe. Sie konnte sich Mason als Wolf oder Leoparden vorstellen, vielleicht auch als Löwen. Aber dem Vers nach hätten sie zu acht sein sollen. Und nicht jeder würde überleben. Das wusste sie. Im Alten Testament wurden Mastvieh und Lämmer oft geopfert.
»Ihr wart schlau, allesamt«, sagte Mason und unterbrach so ihre Überlegungen. »Ich bin erstaunt, dass ihr es bis hierher geschafft habt, ohne Ausrüstung oder Ausbildung.«
Ohne den ungebetenen Gästen den Rücken zuzuwenden, ging er zum Kamin hinüber und kniete sich vor Penny hin. Sie betrachtete ihn mit großen Augen und blinzelte nicht.
»Also bist du ihre Anführerin, ja? Ich sollte mit dir über das Geschäftliche reden?« Zu Jennas Überraschung blieb sein Tonfall geduldig und sanft. Das Mädchen starrte, den Daumen noch immer im Mund, zu ihm hoch. Die Vorstellung, dass die Kleine für irgendetwas die Verantwortung tragen könnte, war seltsam anrührend, aber Jenna konnte sich einfach nicht vorstellen, ihr durch einen monsterverseuchten Wald zu folgen. »Woher wusstest du, dass wir hier waren?«
Keine Antwort. Nur dieser starre Blick aus großen Augen.
Bob durchbrach die angespannte Stille, indem er fragte: »He, funktioniert das Radio da noch?«
Mason zuckte die Schultern. Er ging zu einem nahen Couchtisch hinüber und schaltete das Analogradio an; dann drehte er am Sendersuchlauf herum. Ein Rauschen zischte durch einen Kanal nach dem anderen. Überhaupt nichts auf UKW. Es war schwer zu ertragen, wie gespenstisch dieses Nichts war. Jenna erschauerte einmal und schob dann die Auflaufform in den Ofen. Mason wechselte zur Mittelwelle und suchte langsam. Seine angespannte Konzentration ließ sie wünschen, sie hätte die beiden Falten zwischen seinen Augenbrauen berühren können.
Der Gedanke entsetzte sie. Nein, das wollte sie nicht. Jenna schüttelte reflexartig den Kopf. Sie wollte eine andere menschliche Stimme hören. Das war alles. Sie war einfach nur zu lange mit ihm allein gewesen.
Als Mason auf der Mittelwelle die Frequenz 1500 erreichte, hatte sie die Hoffnung schon fast aufgegeben.
»… und wenn irgendwer das hier hört, ich bin in der Außenstelle der Naturforschungsstation. Diese Viecher sind überall in der Gegend. Alle anderen sind tot. Ich sende auf allen Notfallfrequenzen. Ich wiederhole, wenn irgendjemand das hier hört …« Der Mann klang erschöpft. »Ach, Scheiße, was für einen Zweck hat das schon?«
Eine Vorahnung durchlief Jenna wie ein kalter Lufthauch, der ihre Haut streifte.
Da ist unsere Nummer acht.
8
Nach der ersten Mahlzeit setzte Mason durch, dass sie das Essen rationierten.
Jenna stand neben ihm an der Küchentheke und stellte einen Topf Wasser auf den Ofen, um es zu erhitzen, während er wieder einmal Thunfisch, Erbsen und Dosensuppen öffnete. Sie vermied es, ihm in die Augen zu sehen, und musste das, woran sie dachte, erst noch aussprechen – es waren nicht ihre Gäste. Etwas Tiefergehendes. Ihr Körper strahlte Unbehagen aus, wie es sich auch unter seiner eigenen Haut regte.
Es war eine seltsame Vorstellung, dass er ihre Gedanken ausloten konnte. Aber er vertraute auf seine Instinkte. In ihrer ersten gemeinsamen Zeit in der Hütte hatte Mason gegen unerwartete sexuelle Regungen angekämpft. Diese Impulse waren immer noch da. Es war unheimlich, wie intensiv er sie als Frau wahrnahm. Jetzt hatten sich auch die Haare auf seinen Armen aufgerichtet.
»Das Essen wird nicht den ganzen Winter über reichen.«
Er schaute in ihre grünen Augen, die binnen weniger Tage gealtert zu sein schienen. »Nein.«
Jenna holte tief Atem und stieß die Luft wieder aus. »Ich bereue es nicht.«
Ihre unerwartete Anziehungskraft, die zu knapp bemessenen Vorräte und der Gestank verängstigter Körper strapazierten seine Nerven nicht so sehr wie ihre beiden größten Probleme.
Edna. Und Dr.
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